“Es war falsch, sie zu nehmen, und es war falsch, sie zu behalten.” Mit einer bewegenden Rede übergab die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Benin-Bronzen in Abuja, der Hauptstadt Nigerias. 125 Jahre befanden sie sich in deutschen Museen. Die Politikerin der Grünen fragte weiter, wie es wohl wäre, wenn Menschen in Deutschland nicht mehr die Gutenberg-Bibel in Mainz, Skulpturen von Käthe Kollwitz in Berlin oder Goethes Schreibtisch in Weimar an ihren angestammten Orten bewundern könnten. Baerbock wies in ihrer Rede darauf hin, welche Bedeutung Kunst für die Identität einer Nation habe, sie seien nicht nur einfach Kunstwerke oder kulturelles Erbe, sie seien für die Gegenwart genauso wichtig wie für die Vergangenheit. “Kunst informiert uns darüber, wer wir sind. Kunst formt, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir die Welt wahrnehmen.”

Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock stehen vor einem Plakat, auf dem die Übergabezeremonie angekündigt wird.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock in Abuja während der Übergabezeremonie

“Historischer Tag”: Übergabe der Benin-Bronzen 

“Es ist ein historischer Tag, an dem wir zurückbringen, was uns nie gehört hat”, sagte auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth am Rande ihres Besuchs in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Sie begleitet gemeinsam mit einer Delegation aus Deutschland persönlich die Rückgabe der wertvollen Benin-Bronzen aus fünf deutschen Museen an Nigeria. Im Interview mit der DW führte Roth aus: “Diese Rückgabe steht für die Anerkennung von Unrecht von einer kolonialen Vergangenheit, die sich Raubgut zu eigen gemacht hat.” Roth hofft, dass sich mit der Rückgabe offene Wunden schließen, “denn wir geben auch die kulturelle Identität, die wir gestohlen haben, ein Stück weit zurück”. 

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Geoffrey Onyeama, Außenminister von Nigeria, laufen auf Stühle zu.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Geoffrey Onyeama, Außenminister von Nigeria, am Dienstag in Abuja (20.12.)

Roth und Außenministerin Annalena Baerbock haben am Dienstag (20.12.) in Abuja die ersten 20 der kostbaren Kunstschätze an das westafrikanische Land zurückgegeben. Sie sind Teil einer auf 20 deutsche Museen verteilten Sammlung von rund 1100 geraubten Artefakten aus dem Palast des damaligen Königreichs Benin, das heute zu Nigeria gehört. Die Objekte aus Bronze, Elfenbein und weiteren kostbaren Materialien gehören zu den wichtigsten Kunstwerken des afrikanischen Kontinents. Die meisten von ihnen wurden von britischen Kolonialisten um das Jahr 1897 geraubt. 

“Rückgabe ist kein Verlust für Deutschland”

Die beiden Spitzenpolitikerinnen werden von Direktorinnen und Direktoren mehrerer Museen begleitet. Aus ihren Häusern in Berlin, Hamburg, Köln, Dresden/Leipzig und Stuttgart stammen die restituierten Objekte. Die beteiligten Museen und ihre Träger hatten zuvor bereits die Eigentumsrechte sämtlicher Benin-Bronzen übertragen. Es gibt aber auch Abkommen für Leihgaben, damit einige der Kunstschätze weiter in Deutschland ausgestellt werden dürfen. 

Die deutsche Delegation und Journalisten besichtigen eine Straße ein Benin City, in der Menschen arbeiten, die nach alter Tradition Bronzeskulpturen gießen.

Die Zunftgasse in Benin City

Léontine Meijer-van Mensch, Direktorin der Staatlichen Ethnologischen Sammlungen Dresden und Leipzig, ist Teil der Delegation. “Es geht nicht um uns, sondern um die Menschen in Nigeria, die ihr Eigentum zurück bekommen”, sagt sie im DW-Interview. Sie sieht in der Rückgabe keinen Verlust für Deutschland, sondern in gewisser Weise einen Gewinn, da nun die Vergangenheitsbewältigung in Gang komme: “Ethnografische Einrichtungen werden jetzt wichtige Orte sein, an denen wir uns viel stärker als je zuvor mit der kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen werden”, so Meijer-van Mensch. Dieser Schritt, den nach und nach immer mehr europäische Länder gehen, zwinge dazu, “über ein neues Miteinander im globalen Kontext nachzudenken”.

Die Kunst der Vorväter mit eigenen Augen sehen

Ein Mann mit einer Kappe arbeitet an einer Bronzeskulptur in Benin City.

Bronzegießen hat eine lange Tradition und wird auch heute noch in Benin City als Beruf ausgeübt

Teil der Reise nach Nigeria ist auch der Besuch der sogenannten Zunftgasse in Benin City. Dort arbeiten nigerianische Bildhauerinnen und Bildhauer noch immer in der Tradition ihrer Vorfahren und gießen Kunstwerke aus Bronze- und Messing. Einer von ihnen ist Awaen Aigbe. Der 30-Jährige geht bereits in dritter Generation diesem Handwerk nach. Aigbe findet es “großartig”, dass die Bronzen wieder zurück in Nigeria sind, weil er sie nun endlich im Original studieren könne. Bislang arbeite er ausschließlich mit historischen Bildern alter Kataloge, aber bald könne er sie im Detail betrachten und vor allem auch mit eigenen Augen sehen, “was unsere Vorväter produziert haben”. Dafür habe er gebetet, sagt Aigbe im Gespräch mit Claudia Roth, die in türkisfarbenem Jackett vor ihm stehen geblieben ist, um sich mit ihm über seine Tätigkeit zu auszutauschen.

Versprechen werden nun eingelöst

Godwin Obaseki, der Gouverneur der Region, äußerte seine große Erleichterung im DW-Interview: “Der heutige Tag sagt uns, dass Restitution Realität ist. Die Versprechen, die gemacht worden sind, werden nun eingelöst. Der heutige Tag ist sehr bedeutsam, denn er sagt mir, dass die Deutschen tatsächlich tun, was sie angekündigt haben.”

Eine junge Passantin freut sich ebenfalls, dass die Bronzen nach Nigeria zurückgebracht werden. Sie bedankt sich “bei all jenen, die hart dafür gearbeitet haben”, dass die Bronzen zurückkehren, sagte sie der DW. Sie sei sich sicher, dass in den Straßen gefeiert werde, sobald die Kunstschätze wieder an ihrem Herkunftsort seien.

Annalena Baerbock steht zwischen einem Mann mit Helm und einer Frau, beide haben Mikrofone in der Hand.

Schritte in eine gemeinsame Zukunft: Annalena Baerbock in der “Skills Academy” der nigerianischen Bauindustrie

Schritt in gemeinsame Zukunft

Eigens für die Aufbewahrung der Bronzen soll in Nigeria ein moderner Museumsbau entstehen. Laut Claudia Roth sei die Rückgabe auch “Voraussetzung dafür, dass wir im Hier und Heute über moderne Kunst, über Museumskooperationen reden und gemeinsame Pläne entwickeln, um zu helfen, dass ein moderner Campus aufgebaut wird, archäologische Arbeiten zu fördern – kurz: um eine gemeinsame Zukunft zu schaffen.”

Noch gibt es keinen genauen Zeitplan für den Bau des Museums. Aber mit dem Ausbaggern des Fundaments wurde schon zaghaft begonnen. Solange Benin City auf den Neubau des Museums wartet, verbleiben die Bronzen versteckt in einem Lager in der nigerianischen Hauptstadt. Deutschland will das Projekt finanziell unterstützen. “Ich glaube, wir tun gut daran, dazu beizutragen, dass die Bronzen hier ihre Heimat wiederfinden”, sagt Claudia Roth. Dies sei der Beginn einer neuen Beziehung “zwischen Deutschland und Nigeria und zwischen Europa und Afrika”. 

Rückgabe der Benin-Bronzen: Interview mit Claudia Roth

Der Artikel wurde am 20. Dezember nach der Übergabe in Abuja aktualisiert.