Eigentlich ist der Loreley-Felsen nur ein 132 Meter hoher, steiler Schieferfelsen am Rheinufer bei Sankt Goarshausen im Westen Deutschlands. Klingt erst mal nicht besonders aufregend, wäre dieser Felsen nicht eine der Hauptattraktionen des Mittelrheintals, der Inbegriff der sogenannten Rheinromatik, deren Anziehungskraft Touristen aus der ganzen Welt an diesen Ort lockt. Das Obere Mittelrheintal ist UNESCO Welterbestätte, doch nicht nur das macht diese Region so attraktiv – auch die vielen Sagen sind es, die sich gerade um den Loreley-Felsen ranken.

Schließlich soll dort oben eine wunderschöne junge Frau gesessen haben, die sich den ganzen Tag die Haare kämmte und mit ihrem verlockenden Sirenengesang die unten vorbeifahrenden Rheinschiffer verzauberte und in den Tod trieb.

Statue der Loreley bei Sankt Goarshausen.

Statue der Loreley bei Sankt Goarshausen

Viele Deutsche haben – auch als Teil ihrer Schullektüre – eine allgemeine Vorstellung davon, wer diese Figur war, die in dem berühmten Gedicht “Die Lore-Ley” des deutschen Schriftstellers Heinrich Heine von 1824 verewigt wurde; vielen Menschen sind zumindest die ersten Zeilen des Gedichts in Erinnerung: “Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin, ein Märchen aus uralten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn.”

Die Loreley war eine Femme Fatale

Die 24-jährige Geschichts- und Archäologiestudentin Katrin Kober holt die Figur aus den uralten Zeiten ins Hier und Jetzt. Und hat einen erfrischenden und modernen Blick auf die Verlockungen der Loreley: “Das ist so eine Art Femme-Fatale-Figur. Ich denke, dass gerade weibliche Figuren dazu beutzt werden, einer Geschichte einen sexuellen Hintergrund zu geben”, sagt sie im DW-Gespräch. Katrin Kober arbeitet für das Institut für Historische Landeskunde, das zur Uni Mainz gehört (etwa eine Autostunde von der Loreley entfernt). Sie hat die vermeintlich “uralte” Loreley-Sage für die Website des Instituts untersucht und aufbereitet.

St. Goarshausen, Blick auf die Loreley, im Vordergrund ein Schiff, historische Aufnahme.

Historisches Foto vom Loreley-Felsen

Geschichten wie diese faszinierten die Menschen und seien auch für Kinder verständlich, so Kober, und durch die Verknüpfung mit einem real existierenden Ort, an dem alte Mythen kleben, fände die Loreley-Geschichte noch mehr Anklang.

Von Zwergen und murmelnden Felsen

Dass die Passage des Mittelrheins ohnehin für Mythen gut ist, ist nachvollziehbar: Aufgrund der engen Kurven und des felsigen Grundes gilt sie als einer der gefährlichsten Abschnitte des Flusses. Vor etwa 500 Jahren wurde zudem spekuliert, dass die Schreie von in Höhlen lebenden Zwergen in dieser einzigartigen Landschaft ein ungewöhnliches Echo hervorgerufen haben, das dann in der Flussenge widerhallte. Hinzu kommt noch ein deutlich vernehmbares “murmelndes” Geräusch, das durch die starke Strömung und einen Wasserfall erzeugt wird. Das Echo, das zwischen den Felswänden entsteht, ist tatsächlich vernehmbar.

Für die Entstehung des Namens “Loreley” gibt es mehrere Erklärungen. Erwiesen ist: “ley” steht für das Schiefergestein des Mittelrheintals, wird heute noch benutzt und findet sich in vielen alten Ortsnamen und Weinbergen wieder. “Lore” kann mehrere Bedeutungen haben: es kann für “lauern” stehen, für “heulen” oder “schreien”, aber auch für “murmeln” oder “summen”. Alles macht Sinn.

Eine Schleife des Rheins zwischen hohen Felswänden mit Blick auf eine Burg.

So eng ist die Passage, dass das Echo zwischen den Felswänden hin- und hergeworfen wird

Während die geologischen Gegebenheiten und die daraus entstandenen Mythen wirklich uralt sind, ist die Geschichte der Frauengestalt vergleichsweise jung. Der deutsche Schriftsteller Clemens Brentano schuf die bezaubernde Nixe auf dem “murmelnden Felsen” im Jahr 1800, die in seiner Ballade “Zu Bacharach am Rheine” die Hauptrolle spielte.

Die schöne “Lore Lay” (wie sie hier genannt wird) wird von ihrem Geliebten betrogen und beschuldigt, Männer zu verhexen und in den Tod zu schicken. Sie wird in ein Nonnenkloster verbannt. Auf dem Weg dorthin bittet sie ihre Eskorte, am Loreleyfelsen anzuhalten, weil sie noch einmal hinaufsteigen und über den Rhein blicken will. Oben angekommen stürzt sie in den Tod. Der Felsen soll fortan einen Nachhall ihres Namens tragen – so die Geschichte.

Von der Antike inspiriert

Brentano selbst könnte von der klassischen Mythologie inspiriert worden sein. Sirenengesang etwa kennt man aus der Odyssee des antiken griechischen Dichters Homer. “Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass Brentano sich in diesem frei erfundenen Gedicht auf den antiken Mythos der Bergnymphe Echo berief, die ihrerseits unglücklich in Narziss verliebt war und in ihrer Trauer zu einem Felsen wurde, von dem nur noch ihre Stimme hallen konnte. So schuf Brentano eine Erklärung für das Echo-Phänomen am Rheinfelsen, die sich spannend weitererzählen ließ”, schreibt Kober in ihrem Aufsatz.

Dichter Heinrich Heine, Porträt, Bleistiftzeichnung.

Heinrich Heine (1797 -1856)

Heinrich Heine veröffentlichte 1824 sein Loreley-Gedicht, das in der Vertonung von Friedrich Silcher berühmt und zu einem populären deutschen Volkslied wurde.

Katrin Kober möchte mit ihrer Darstellung der Loreley-Figur die etwas veralteten Interpretationen dieser Frauenfigur entstauben: “Ich habe den Eindruck, dass es sich um Geschichten alter weißer Männer handelt, die sich an den Leiden einer imaginären Frauenfigur ergötzt haben und diese dann veröffentlicht haben, um damit Geld zu verdienen”, sagt sie. “Es scheint, als hätte Loreley keine besonderen Eigenschaften, außer dass sie entweder unglücklich verliebt ist oder Männer zum Spaß tötet”, so Kober im DW-Gespräch.

Dennoch lebt die Loreley bis heute weiter und findet sich in unzähligen künstlerischen Darstellungen wieder – von der klassischen Oper über musikalische Hommagen von Alfredo Catalani, Clara Schumann und Franz Liszt bis hin zu einem Lied von George und Ira Gershwin aus dem Jahr 1933.

Einfluss auf die zeitgenössische Kultur

Der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain bezeichnete die Loreley in seinem 1880 erschienenen satirischen Reisebericht “A Tramp Abroad” (Ein Landstreicher im Ausland) als “uralte Legende vom Rhein”. Die Loreley diente auch als Inspiration für ein 1960 veröffentlichtes Gedicht der Amerikanerin Sylvia Plath über einen nächtlichen Fluss im Vollmond und geheimnisvollen Stimmen.

Marilyn Monroe tanzt und singt in pinkem Satinkleid.

Marilyn Monroe als Lorelei Lee

Eine der bemerkenswertesten Interpretationen der Popkultur wird von Leinwandstar Marilyn Monroe verkörpert. In ihrem pinkfarbenen Kleid und mit ihrer aufreizenden Interpretation von “Diamonds Are a Girl’s Best Friend” spielte Marilyn die Figur der Lorelei Lee in dem Film “Blondinen bevorzugt” von 1953, der auf dem gleichnamigen Roman von Anita Loos aus dem Jahr 1925 basiert und in den USA ein Bestseller wurde.

Loreley hat im Laufe der Jahrzehnte einer Reihe von Filmen ihren Namen geliehen, von der deutschen Stummfilmversion von 1927 über ein japanisches Kriegsdrama von 2005 bis hin zu einer fiktiven Figur in den Marvel-Comics, einem Hund in dem Roman “Die Hunde von Babel” von 2003 und der Protagonistin der erfolgreichen Fernsehserie “Die Gilmore Girls”.

Sie diente auch als Namenspatronin für eine düstere Rockband aus Pittsburgh, für Songs der Band Styx, der Cocteau Twins, Nina Hagen, The Pogues, The Scorpions und von Mark Seymour & The Undertow.

Auf dem Loreley-Plateau ist in den 1930er-Jahren ein Amphitheater erbaut worden, das bis heute eine eindrucksvolle Konzertlocation für jegliche Art von Musik geworden ist – von Klassik bis Rock.

 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert (sw).