Thomas D sitzt in der Kantine der Oper Bonn und blickt zum grauen Rhein. Mit seiner Brille und dem karierten Hemd sieht er eher wie ein liberal gesinnter Gymnasiallehrer aus als wie ein Popstar. Wobei: Wie soll ein Star von heute aussehen, der nach einer Megakarriere in der Popbranche zum Jazz gefunden hat, überzeugter Veganer ist und auf einem Bauernhof in den Hügeln der Vulkaneifel lebt?

Thomas D. heißt mit bürgerlichem Namen Thomas Dürr, hat einen Realschulabschluss und eine Frisörlehre hinter sich und prägt als Mitglied der Hip-Hop-Combo Die Fantastischen Vier seit Anfang der 1990er Jahre die deutsche Popgeschichte mit. Er hält nicht viel von vorgefertigten Lebensentwürfen und Denkweisen. Und ist damit genau der Richtige, um zusammen mit der Band KBCS die dreizehnte Ausgabe des Jazzfestes Bonn zu eröffnen – unter dem Motto “Beyond Category” (Jenseits von Kategorien).

Thomas D., Musiker in weißem Anzug und schwarzem T-Shirt, auf der Bühne, Band im Hintergrund.

Große Nähe: Thomas D. bei der Eröffnung vom Jazzfest Bonn

DW: Ein Hip-Hop-Star bei einem Jazzfest – wie ist es dazu gekommen? Was führt dich zum Jazz, was findest du in dieser Musiksprache, was du nicht beim Hip-Hop schon hast?

Thomas D: Dass wir beim Jazzfest spielen, hat mich am Anfang auch gewundert, denn das, was ich mit der Band KBCS mache, ist jetzt nicht direkt Jazz. Was uns aber mit dem Jazz verbindet: Wir gehen neue Wege. Es ist nicht so gradlinig und einfach wie Pop. Wobei gut gemachte Popmusik auch nicht einfach ist, sie klingt nur so. Was einfach klingt, ist normalerweise sehr gut durchdacht und ausgeklügelt bis ins Letzte, sonst wäre es kein Hit.

Ich würde von mir auch sagen: Es heißt zwar Hip-Hop, aber eigentlich mache ich sehr persönliche Poesie, gut gereimt und rhythmisch gut gesetzt. Ich glaube, das ist etwas, was ich ganz gut kann.

Du bist gewohnt, in Stadien vor Zehntausenden zu spielen. Bei einem Jazzkonzert sind es “nur” einige Hunderte. Ist es ein anderes Gefühl vor einem so “kleinen” Auditorium zu spielen?

Thomas D: Es ist sehr persönlich, sehr entspannt. In der Regel bin ich bei einem Jazzkonzert schon beim Einlass dabei, sag den Leuten “Hallo” und da bricht gleich das Eis, denn wir wollen gemeinsam einen schönen Abend verbringen. Da kommt ein Mann, der redet über seine Gefühle, schüttet sein Herz aus. Eigentlich ist es egoistisch: Ich würde es auch alleine machen, ganz ohne Publikum, denn ich bin sehr erfüllt nach so einem Abend. Es ist eine Erfüllung von einem privaten Traum.

Thomas D. auf der Bühne.

Thomas D. mit den “Fantas” beim Lollapalooza-Festival 2022

 Dem internationalen Auditorium bist Du unter anderem vom Soundtrack des Films “Lola rennt” von Tom Tykwerbekannt, im Hit “Wish” rappst Du aber gemeinsam mit Franka Potente, die den englischen Part übernahm. Was denkst Du: Ist der deutsche Hip-Hop, gesungene oder als Sprechgesang vorgetragene Poesie überhaupt außerhalb des deutschen Sprachraums vermittelbar?

Also, generell: Auf Deutsch zu rappen, ist sehr viel schwieriger als auf Englisch. Auf Englisch reimt sich fast alles. Das hängt mit dem Satzbau zusammen – denn die haben immer zum Schluss die Verben oder so was – irgendwas haben die immer am Schluss. Es ist schon unglaublich, was sich da alles reimt. Da tun wir Deutsche uns schon viel schwerer. Für einen, der kein Deutsch spricht, klingt es rein phonetisch wie eine harte, kantige Sprache. Wenn sie aber richtig eingesetzt wird, wie es die alten Dichter und Denker gemacht haben, ist es ein unglaubliches Werk. Wenn man einen Goethe liest – was die schon damals an Reimkunst an den Tag gebracht haben! Man kann diese Sprache großartig machen. Und was wir festgestellt haben: einige der Fanta 4-Songs finden sich in Deutschbüchern in fremden Ländern wieder! Auf mich kommen manchmal Menschen zu und sagen: “Mit euch habe ich Deutsch gelernt!”

Die Fantastischen Vier auf der Bühne.

Die Texte der Fantastischen Vier finden sich in Deutschbüchern wieder

Du sprichst auch gerade im Interview von der Rhythmik und der Intonation her so, als ob Du gerade auf der Bühne stehen und rappen würdest. Wie hast du zu deiner Sprache gefunden?

Ich bezeichne meine Sprache als relativ einfach, verständlich und von Herzen, und das Schöne ist, dass, wenn ich dann die richtigen Worte wähle (was sehr lange dauert, weil ich arbeite sehr viel an einzelnen Texten, bis jedes Wort, jeder Buchstabe sitzt) – am Ende klingt es dann eben, als würde ich es dir jetzt gerade erzählen, dass ist das Geheimnis dabei. Ich habe eine direkte, einfache Sprache – von Herzen.

Wir sprechen uns gerade in der Beethovenstadt Bonn. Anspruch der Musik Beethovens und auch der klassischen Musik generell war es stets, die Welt zu verbessern und den Mensch zu veredeln. Mit welchem Gefühl gehst du in ein Aufnahmestudio oder auf die Bühne?

Die Weltverbesserung lag mir schon immer sehr nahe. Ich möchte schon Menschen erwecken. Ist vielleicht ein großes Wort, aber eine Reflexion mit sich selbst zu erzeugen, eine Schicht zu erreichen, die tiefer liegt als der Verstand, das ist schon mein Ziel. Ich möchte mit meinen Worten die Menschen im Herzen berühren und sie zu ihren Gefühlen zurückbringen, raus aus dem abgeurteilten Denken. Und da hilft die Musik schon sehr, da sie so seelenvoll ist.

Landschaftsaufnahme, ein Kratersee, umgeben von Hügeln.

Wahlheimat: Thomas D. hat sich für die einmalige Gegend Vulkaneifel entschieden

Du lebst schon seit 1997 auf dem Lande, auf dem M.A.R.S – was soviel wie “Moderne Anstalt Rigoroser Spakker” heißt. Gegründet wurde es als eine Art Landkommune, jetzt bist Du mehr oder minder nur mit deiner Familie da, die Musikpartner kommen in dein Studio zu Besuch…

Ja, wir sind jetzt zwischen drei und fünf Leute. Eigentlich ist es viel zu groß für uns. Ich habe mich früher “Hausmeister Thomas D” genannt, jetzt bin ich tatsächlich Hausmeister geworden, Heimwerker und auch im Außenbereich tätig.

Zu meinem Fünfzigsten habe ich mir einen Bagger gekauft, und seitdem bin ich auch schwer am Löcher buddeln. Was ich damit mache, weiß ich noch nicht, aber was dabei rauskommt – das ist interessant.

Was denn? Prähistorische Funde?

Nee, vielmehr habe ich all meine Leitungen zerlegt: Strom, Gas, Scheiße – alles! Und habe gelernt, wie man das wieder repariert. Hey, das ist auch was wert!

Klingt romantisch. Aber im Ernst: Was suchst du in der Natur? Nur eine Abwechslung zum Tournee-Leben?

Die Einzigartigkeit. Kein Grashalm gleicht dem anderen, keine Schneeflocke. Oft vergessen wir aber das, und dann ist Gras nur Gras und Schnee Schnee. Die Natur ist aber ein Wunder, an dem wir täglich teilhaben. Diese Welt ist das Unglaublichste, was wir haben. Und jeder von uns ist individuell. Und was wollen wir? Dass alle so sind wie wir!

Fünf Männer, Natur im Hintergrund.

Thomas D. (zweiter von links) und Musiker der Band KBCS auf dem Gelände des M.A.R.S

Du bist Veganer. Warum?

Irgendwann habe ich gedacht: Ich will nicht akzeptieren, dass Tiere für mich getötet werden. Ganz zu schweigen von Sachen wie Massentierhaltung. Auch wir Menschen leben nicht in kompletter Freiheit, aber gerade bei Schweinen zum Beispiel ist es absolut unmöglich: Ich hatte zwei Schweine, und ich weiß, wie sensibel Erika war. Ich kann nicht verantworten, dass Tiere für mich so gehalten werden. Außerdem ist ja vegetarische Ernährung bewiesenermaßen eben auch für die ganze Welt gut. Und ein veganer Burger (und ich liebe Burger!) schmeckt mittlerweile genauso lecker wie der aus echtem Fleisch – da tritt die rote Beete raus und du hast das Gefühl, als hättest du dem Stier in den Nacken gebissen. Und da musste kein Tier sterben!

Wir sprechen gerade, während in den Nachrichten Berichte über den Ukraine-Krieg und andere Tragödien dieser Welt laufen. Wie stark prägt es dein Werk?

Zum einen wünscht man sich als Künstler immer einen Text zu schreiben, der Bestand hat, der am besten zeitlos ist. Deshalb sträuben wir uns tagesaktuell zu schreiben. Es wäre zu schön zu sagen: man kann ein Lied schreiben – und der Krieg ist vorbei. Ich finde, in der Situation, in der wir uns gerade befinden (und die Situation verschärft sich, wie ich finde) muss man über grundlegende Gefühle schreiben – über Liebe, Miteinander, auch über Vergebung und das Zelebrieren der Unterschiede. Natürlich macht mich das, was ich sehe, nicht glücklich. Aber dieses Gefühl will ich nicht weitergeben, Angst zu teilen hat keinen Sinn. Mut muss man teilen, Hoffnungen muss man geben – gerade weil die Zeiten düster genug sind.