Michelle Yeoh zu beschreiben, ist keine einfache Aufgabe. Die malaysische Schauspielerin ist tatsächlich “Everything Everywhere All At Once”, also “Alles überall zur gleichen Zeit”. In dem gleichnamigen Film von Daniel Kwan und Daniel Scheinert (bekannt als “die Daniels”) spielt sie die Rolle der Evelyn Wang und gewann dafür einen SAG-Award als beste Hauptdarstellerin.

Yeoh ist damit die erste Asiatin aller Zeiten, der diese Auszeichnung der US-amerikanischen Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild (SAG) zuteil wurde. In der gleichen Kategorie gewann die 60-jährige Schauspielerin einen Golden Globe, als zweite Asiatin jemals. Dass sie beim britischen Filmpreis BAFTA leer ausging, rief bei vielen Fans Empörung hervor. Sie sagten, Yeoh sei des Preises “beraubt” worden. Nun ist sie die erste asiatische Schauspielerin, die für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert wurde. Die Verleihung findet am 12. März statt.

Ein schwarz-weißes Bild einer asiatischen Frau, die mit einer Waffe auf etwas zielt.

Yeoh war in der Hongkonger Filmindustrie dafür bekannt, ihre eigenen Stunts zu machen

Vorbild für viele

Yeohs Serie an Triumphen hat sie zu einem Vorbild für asiatische Menschen, People of Color und Frauen gemacht, vor allem für jene in einem “gewissen Alter”. In “Everything Everywhere All at Once” spielt Yeoh eine chaotische Immigrantin und Mutter, die mit ihrem Ehemann einen Waschsalon betreibt. Als das Finanzamt eine Steuerprüfung einfordert, wird Evelyn plötzlich in ein Multiversum katapultiert. Sie entdeckt, dass es mehrere Versionen des Universums und ihrer selbst gibt, die sich allesamt in Gefahr befinden. Sie ist die Einzige, die das Multiversum vor dieser großen Bedrohung retten kann. Dafür muss Evelyn zwischen parallelen Realitäten navigieren und sich Fähigkeiten aneignen, die von verschiedenen Versionen ihrer selbst entwickelt wurden.

Yeoh selbst wiederum stellt in dem hochkomplexen Film ihre schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis, die sie in fast vierzig Jahren Karriere angesammelt hat. Der Erfolg des Films belohnt auch ihre jahrelange Geduld mit einer Branche, die oft stereotype Rollen für nicht-weiße Schauspielerinnen und Schauspieler vorsieht.

Bild eines chinesischen Mannes und einer Frau, die auf einem Balkon stehen und Kleidung aus der Qing-Dynastie tragen. Unter ihnen zieht eine Prozession von Menschen in ähnlicher bunter Kleidung vorbei.

Mit dem Hongkong-Schauspieler Chow Yun-fat in einer Szene aus Ang Lees “Tiger and Dragon”

Von der Ballerina zur Schönheitskönigin

Eigentlich hatte Michelle Yeoh nie das Ziel, Schauspielerin zu werden. Geboren und aufgewachsen in Malaysia, wollte sie Ballerina werden. Dafür nahm sie ein Studium an der Royal Academy of Dance in London auf. Jedoch führte eine Rückenverletzung dazu, dass sie den Traum einer professionellen Tanzkarriere aufgeben musste. Im Jahr 1983 meldete ihre Mutter sie heimlich zur Miss-Malaysia-Wahl an, die Yeoh dann auch gewann. Der Sieg im Schönheitswettbewerb verhalf ihr zu Auftritten in der Werbung. Der erster Werbespot war für Uhren von Guy Laroche, in dem kein Geringerer als der berühmte Kampfsportler Jackie Chan auftrat.

Es folgten Filmangebote, und in den 1980er-Jahren wurde Michelle Yeoh durch eine Reihe von Hongkong-Action- und Martial-Arts-Filmen berühmt, in denen sie ihre eigenen Stunts ausführte, wie “Ultra Force 2” (1985), “Police Story 3: Supercop” (1992) und “Holy Weapon” (1993).

Eine Frau mit Brille und zwei Männer lächeln in die Kamera. Der Mann in der Mitte, der eine Mütze trägt, hat seine Arme um die beiden anderen gelegt.

Ein Bild von Yeoh aus dem Jahr 2010 mit dem deutschen Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher und ihrem Ehemann, dem ehemaligen Ferrari-Chef Jean Todt

In einer Zeit, in der sich noch kaum jemand für mehr Diversität einsetzte, hatte sie ursprünglich unter dem Künstlernamen Michelle Khan gearbeitet. Dieses Pseudonym wurde von der Filmproduktionsfirma D&B Films gewählt, weil man glaubte, dass “Khan” beim internationalen und westlichen Publikum besser ankommen würde. Später kehrte die Schauspielerin zu ihrem eigenen Namen zurück.

Zwischen Hongkong und Hollywood

Nach ihrer Heirat mit dem Hongkonger Geschäftsmann Dickson Poon, der übrigens Mitbegründer von D&B Films war, zog sich Yeoh 1987 vorübergehend von der Schauspielerei zurück. Nach der Trennung der beiden im Jahr 1992 nahm sie ihre Karriere aber wieder auf. Der Durchbruch in Hollywood gelang ihr 1997, als sie in “James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie” an der Seite von Pierce Brosnans als erstes ethnisch chinesisches Bond-Girl gecastet wurde. 2010 stufte sie das Magazin “Entertainment Weekly” als siebtbestes Bond-Girl ein und nannte sie eine “versierte chinesische Agentin”, eine der wenigen “Women of Color, die es mit 007 aufnehmen können” und “die erste, die man ernst nehmen kann”.

Doch obwohl Yeoh mit dem Bild eines typischen Bond-Girls brach, stand sie zwei Jahre lang nicht vor der Kamera, da Hollywood ihr immer wieder Rollen als “zerbrechliche asiatische Frau” anbot. In einem Interview mit GQ erinnerte sie sich 2018: “Als ich zum ersten Mal hierher kam, um Filme zu machen, sagte jemand: ‘Wenn wir eine afroamerikanische Hauptrolle besetzen, können wir Sie auf keinen Fall casten, weil wir nicht zwei Minderheiten haben können.'”

Geisha, Nobelpreisträgerin, Metaversum-Surferin: Sie spielt sie alle

In einem Interview mit dem “TIME Magazine”, von dem sie zur “Ikone des Jahres 2022” gekürt wurde, erklärte Yeoh, dass asiatische Schauspielerinnen und Schauspieler lange Zeit stereotype und eher unbedeutende Rollen bekommen haben. “Es sollte nicht um meine Herkunft gehen, aber es war ein Kampf”, sagte sie. “Lassen Sie es mich wenigstens versuchen.” Dann kam Ang Lees “Tiger and Dragon ” (2000), in dem Yeoh ihren Kampfkunst-Hintergrund unter Beweis stellen konnte. Sie spielte auch die Mameha in “Die Geisha” (2005) und verkörperte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in “The Lady” (2011).

Eine Frau in der traditionellen Kleidung der Frauen in Myanmar sitzt auf dem Boden inmitten großer handgeschriebener Plakate und liest eines.

Yeoh spielte die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in “The Lady”.

In den letzten Jahren spielte sie außerdem in “Crazy Rich” (2018) sowie in den Serien “Marvel”, “Star Trek”, “Transformers” und “The Witcher” mit. Aber erst mit ihrer Rolle als Evelyn in “Everything Everywhere All at Once” schaffte sie es auf die Listen der großen Filmpreise. In einem CNN-Interview am 6. Februar verriet Yeoh, dass die Rolle eigentlich für Jackie Chan vorgesehen war und sie seine Frau spielen sollte. Doch nachdem Chan das Angebot abgelehnt hatte, passten die beiden Daniels die Geschichte an, so dass Yeoh die Hauptrolle spielte. “Es war damals so überwältigend, ein Drehbuch zu bekommen, in dem stand: ‘Das ist eine ganz normale Frau, eine asiatische Einwanderin, die mit all den Problemen zu kämpfen hat, die wir alle kennen'”, sagte sie.

Ikonische Dankesreden

Mittlerweile hat sich Yeoh auch einen Ruf mit ihren oft witzigen und schlagfertigen Dankesreden gemacht, in denen sie über die Hürden spricht, die sie überwunden hat. Als sie im Februar ihren SAG Award entgegennahm, sagte sie: “Der ist nicht nur für mich, er ist für jedes kleine Mädchen, das so aussieht wie ich.”

Drei in japanische Kimonos gekleidete Frauen schauen sich hochmütig an.

Von links: Zhang Ziyi, Yeoh und Gong Li in einer Szene aus “Die Geisha”.

Yeoh gilt als eine der Favoritinnen im Rennen um den Oscar. Im Vorfeld der Verleihung sprach sie in Interviews über ihre Nominierung und darüber, dass viele Asiatinnen und Asiaten nun auf sie zukämen und ihr viel Glück wünschten. “Ich denke, das geht über mich hinaus. Das steht für so viele, die gehofft haben, auf diese Weise gesehen zu werden, und zu sagen: ‘Ich bin auch wertvoll, ich muss auch gesehen werden.'”

Adaption aus dem Englischen: Maria John Sánchez.