Bradford im Norden Großbritanniens. Es ist der 14. Januar 1989, ein ruhiger Samstag Morgen. Plötzlich erwacht die Stadt: Hunderte aufgebrachter Menschen laufen durch die Straßen und versammeln sich vor dem Rathaus. Sie protestieren gegen ein Buch und verbrennen schließlich einige Exemplare davon. Es sind “Die Satanischen Verse” des indisch-britischen Autors Salman Rushdie. Es gibt empörte Reden, in denen der Roman als Blasphemie und unerträgliche Beleidigung des Islam angeprangert wird.

Weltweite Empörung bis hin zu Todesurteil

Doch als Asche und verkohlte Fetzen der verbannten Buchseiten über den Platz wehen, ahnen selbst die militantesten Anführer des Protests nichts von dem weltweiten Feuer, das sie gerade entfacht haben: Bücherverbrennungen in vielen Ländern, Anschläge auf Buchläden, Tote bei Demonstrationen, Bombendrohung gegen Rushdies Verlag sowie gegen die Fluggesellschaft British Airways, Steinwürfe gegen britische Botschaftsgebäude.

Rund um den Globus sind Polizei, Parlamente und Regierungen in Aufruhr.

Ruhollah Chomeini spricht in ein Mikrofon, umgeben von weiteren Männern und Jungen

Ajatollah Ruhollah Chomeini im Kreis seiner Anhänger

Schließlich meldet sich der oberste Glaubenshüter des Islam, Ajatollah Ruhollah Chomeini aus dem Iran und verhängt ein Todesurteil – die so genannte Fatwa – über Rushdie und alle, die an der Veröffentlichung des Buches beteiligt sind: “Ich rufe alle aufrechten Muslime auf, diese Leute sofort hinzurichten, wo immer sie sie finden, so dass niemand mehr wagen wird, die Heiligkeit des Islam zu verletzen,” sagt Chomeini am 14. Februar 1989 im iranischen Rundfunk. “Jeder Muslim, der dabei stirbt, wird als Märtyrer angesehen und kommt direkt ins Paradies.”

Die “Satanischen Verse” sollten nur Satire sein

Salman Rushdie wurde am 19. Juni 1947 im indischen Bombay, dem heutigen Mumbai, geboren, wuchs in Indien und England auf und wurde muslimisch erzogen. Den Glauben legt er als junger Erwachsener ab. In seiner Wahlheimat England veröffentlicht er mehrere halb realistische, halb fantastische Romane und feiert seine ersten Erfolge.

Portait von Salman Rushdie 1986

Salman Rushdie 1986

1988 erscheinen die “Satanischen Verse”. Ein satirisches Märchen, in dem es um Gut und Böse geht, Traum und Wirklichkeit sowie Heimat, Migration und Identität, Themen, die Rushdie als Migrant in Europa begleiten.

Teufel und Huren

Was die islamische Welt empört, sind die Allegorien, die Rushdie in seinem Buch benutzt, so wird der Prophet Muhammad mit seinem alten christlichen Schimpfnamen Mahound – Teufel – belegt, an dessen Geburtstag die Krise seines Lebens beginnt: “Eine Stimme flüstert ihm ins Ohr: Was für eine Art Idee bist du? Mann oder Maus?”

Zudem werden zwölf Huren zu den zwölf Ehefrauen des Propheten. Vom Satan eingegebene Verse untergraben schließlich die göttliche Offenbarung des Korans – für die muslimische Welt ist dies untragbar. Schon kurz nach Erscheinen des Buches hagelt es Proteste, die schließlich in der Fatwa gipfeln. Außerdem wird ein Kopfgeld in Millionenhöhe auf Rushdie ausgesetzt, das mit den Jahren immer weiter erhöht wird.

Weltweite Berühmtheit für einen hohen Preis

Wütende Männer halten ein Banner gegen den Satan Salman Rushdie, vor ihnen schlagen Flammen und Qualm hoch.

Proteste gegen Rushdie in Pakistan

Rushdie muss mit Hilfe des britischen Geheimdienstes untertauchen und wechselt binnen eines Jahres 56 Mal sein Versteck. Währenddessen versucht er, ein möglichst normales Leben zu führen und weiter zu schreiben. In einem heimlich aufgenommen Radiointerview versucht er, die Wogen zu glätten: “Ich bedauere es zutiefst, wenn die Veröffentlichung islamischen Gläubigen Schmerz zugefügt hat. (…) Wir dürfen die Empfindlichkeit anderer nicht aus den Augen verlieren.”

Viele Jahre lang hält sich Rushdie im Untergrund auf. Die Fatwa wird nicht zurück genommen. Aus seinen Verstecken heraus meldet sich Rushdie immer wieder zu Wort und ist in den 2000ern auch Vorsitzender der US-Abteilung des internationalen Schriftstellerverbandes PEN.

2007 erhebt ihn Queen Elizabeth II. in den Ritterstand, was erneut zu weltweiten Protesten in der muslimischen Welt führt.

Mehrere Romane erscheinen, und immer wieder wird der Autor mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet. Als sein bestes Buch gilt seine Autobiografie “Joseph Anton”, in der er seine Jahre im Untergrund thematisiert. Schließlich siedelt er in die USA um. Obwohl die Fatwa immer noch nicht zurückgenommen worden ist, bewegt er sich nun freier, lehnt den Personenschutz ab. Er besucht Veranstaltungen, tritt öffentlich auf.

August 2022: Das Attentat

Doch im August 2022 zeigt sich, dass der jahrelange Hass islamistischer Extremisten offenbar nicht nachgelassen hat.

Mehrere Menschen umgeben den am Boden liegenden Rushdie und versorgen ihn.

Der verletzte Rushdie wird nach dem Angriff versorgt

Ein damals 24-jähriger Attentäter greift Rushdie bei einer Literaturveranstaltung mit einem Messer an und verletzt ihn schwer. Der Schriftsteller, der zwei Monate zuvor seinen 75. Geburtstag gefeiert hatte, kämpft bis heute mit den Folgen: Er ist auf einem Auge blind und kann eine Hand nicht mehr bewegen.

Nichtsdestotrotz erscheint nun sein neues Buch “Victory City”. Rushdie erzählt die Geschichte des indischen Waisenmädchens Pampa Kampana. Sie erhält von einer Göttin übernatürliche Kräfte und gründet die Stadt Bisnaga, deren Name übersetzt “Stadt des Sieges” heißt. Auf Lesereisen oder Promo-Veranstaltungen wird Rushdie nicht gehen. Allerdings macht er regen Gebrauch vom Kurznachrichtendienst Twitter, wo er derzeit vor allem Rezensionen zu seinem neuen Buch postet.

In Deutschland wird der neue Roman von Salman Rushdie voraussichtlich erst im April 2023 erscheinen.