Von einer Idee bis zu ihrer Verwirklichung kann es manchmal quälend lange dauern. 2013 erschienen Aufnahmen des Fotografen Stefan Moses im Band “Deutschlands Emigranten” – Porträts von Menschen, die Deutschland im Nationalsozialismus verlassen mussten. Der Historiker Christoph Stölz, früherer Direktor des Deutschen Historischen Museums, verfasste die Begleittexte.

Aus der unerwartet großen Resonanz auf den Band resultierte die Idee, in Berlin ein Museum zu gründen, das die Geschichten und Schicksale deutscher Exilantinnen und Exilanten erzählt. Bald darauf war Stölzl, der im vergangenen Januar gestorben ist, Gründungsdirektor der Stiftung Exilmuseum. Schnell wurden die Pläne konkretisiert, auch dank zahlungskräftiger Spender. Alt-Bundespräsident Joachim Gauck wurde als Schirmherr gewonnen, die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller als Schirmherrin.

Fertigstellung frühestens 2026

Mit dem seit Jahrzehnten traurig anmutenden, brach liegenden Areal am Anhalter Bahnhof war auch schnell ein geeigneter Ort gefunden, 2020 präsentierte die Stiftung mit der Dänin Dorte Mandrup die Gewinnerin des Architekturwettbewerbs für das Museumsgebäude. Doch wie es so ist mit Bauprojekten, die finanziert werden wollen: Es dauert. Momentan ist eine Eröffnung frühestens ab 2026 denkbar.

An einer Wand in der Werkstatt Exilmuseum hängen Fotos von Geflüchteten in Farbe und Schwarz-weiß

Flucht und Exil: Porträts zeigen Geflüchtete von damals und heute

Um die Zeit bis zum fertigen Museum zu überbrücken und das, was entstehen soll, anschaulich zu machen, hat die Stiftung die “Werkstatt Exilmuseum” eröffnet. Hier sollen Besucherinnen und Besucher die Entstehung des Museums aktiv miterleben und im Idealfall auch mitentwickeln. In einem Raum, der als “Labor” überschrieben ist, stehen Tische, deren Tischplatten den Formen der späteren Ausstellungsräume entsprechen. Mit bunten Klebebändern können Grundrisse gestaltet und verworfen, Installationen geplant und umgestaltet werden. Im “Studio” nebenan laufen Interviews mit geflüchteten Menschen von damals und heute.

Grundrisse aus Klebebändern

Zur ersten Führung des Tages sind am Eröffnungswochenende etwa 20 Leute in die Werkstatt gekommen. Im zweiten Stock des Altbaus hängen Porträts von Exilantinnen und Exilanten an zwei Wänden einander gegenüber. Der 1933 wegen seines politischen Widerstands gegen die Nazis aus Deutschland nach Norwegen geflohene spätere Bundeskanzler Willy Brandt blickt auf eine junge Frau, die mit ihrer Mutter erst vor kurzem aus Afghanistan nach Deutschland flüchtete – auch, weil sie dort nicht zur Schule gehen durfte.

Im Angesicht des Ukraine-Kriegs, der Aufnahme Millionen Geflüchteter und anhaltender Fluchtversuche über das Mittelmeer muss ein Exilmuseum den Bogen schlagen vom Damals in die Gegenwart. An der Decke hängt ein Flip-Dot, eine mechanische Anzeigetafel, wie man sie von Bahnhöfen oder Flughäfen kennt. Die einzelnen Plättchen drehen sich und geben immer neue Zitate von Menschen wider, die aus ihrer Heimat fliehen mussten: “Der Körper befindet sich nun HIER”. Es lässt sich nicht unterscheiden, ob die Aussagen von 1933 stammen oder aus dem Jahr 2023.

Berlin | Werkstatt Exilmuseum - Fasanenstraße 24

Das “Labor” der Werkstatt Exilmuseum

Das Publikum an diesem Nachmittag ist überwiegend im gesetzten Alter und will nicht so recht mitmachen bei dem, was die Werkstatt ausmachen soll. Sie werden gebeten, mit Filzstiften auf großen Bögen zu notieren, was ihnen zum Thema Exil als erstes in den Sinn kommt. Die Gruppe will aber nichts aufschreiben, sondern lieber Fragen stellen, diskutieren: Wie geht es weiter mit der Finanzierung? Beißt sich das Museum am Anhalter Bahnhof nicht inhaltlich mit dem Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung, das im Juni 2021 auf der anderen Straßenseite eröffnet wurde?

Die Werkstatt muss selbst experimentieren

Die Besucherinnen und Besucher sind interessiert und gut informiert, aber manches ist ihnen noch nicht greifbar oder konkret genug. Um den Mitmachtisch sitzen bald mehr Mitarbeitende der Museumsstiftung als Besucher. Die Stiftung wird experimentieren müssen, um den richtigen Zugang zur Öffentlichkeit zu finden – zu jungen Menschen, auch in die Exilgesellschaft.

Jeden Donnerstag wird die Werkstatt zwischen 15 und 18 Uhr geöffnet sein. Zahlreiche Workshops sind in Planung – unter anderem mit Jugendlichen, zum Thema Tanz und die Veranstaltungsreihe “Exil im Film” in Kooperation mit der Deutschen Kinemathek. Außerdem diskutieren Autorinnen und Autoren auf Lesungen zum Thema “Schreiben im Exil”.

Die Portalruine des Anhalter Bahnhofs steht in der Dämmerung vor beleuchteten Hochhäusern.

Seit den späten 1950er-Jahren fristet das einstige Eingangsportal des Anhalter Bahnhofs ein einsames Dasein

Der Anhalter Bahnhof im Stadtteil Kreuzberg war einer der wichtigsten Fernbahnhöfe Berlins im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Nach dem Erstarken der Nationalsozialisten und besonders nach der Machtergreifung Adolf Hitlers im Frühjahr 1933 verließen viele Exilantinnen und Exilanten die Stadt über den Anhalter Bahnhof. Ab 1942 diente der Bahnhof den Nazis zur Deportation von Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt.

Historischer Ort der Vertreibung

Nach dem Abriss des Bahnhofs 1959 blieb nur die Portalruine erhalten, die dem Museumsneubau vorgelagert sein wird. Das Grundstück ist im Besitz des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, der das Vorhaben unterstützt. Geplant ist, der Museumsstiftung das Grundstück per Erbbaurecht zu überlassen. Der Haushaltsausschuss des gerade neu gewählten Abgeordnetenhauses muss noch zustimmen. Und schließlich muss natürlich auch die Finanzierung noch geklärt werden.

Ursprünglich sollte das Museum komplett aus privaten Mitteln entstehen, doch die anfangs auf 30 Millionen Euro bezifferten Baukosten haben sich inzwischen verdoppelt, insbesondere aufgrund der allgemeinen Energie- und Rohstoff-Kostensteigerungen infolge des Ukraine-Kriegs. 20 Millionen Euro sind aus privaten Zuwendungen gesammelt worden, 40 Millionen fehlen. Die Stiftung hofft auf eine Beteiligung der öffentlichen Hand.