Am Sonntag lief eine Frist zur Zahlung von 100 Millionen Dollar an Zinsen für zwei Fremdwährungsanleihen aus – 29 Millionen für eine bis 2036 laufende Staatsanleihe in Euro und 71 Millionen Dollar für ein bis 2026 laufendes Papier in Dollar. Eigentlich sollte Russland die Zahlungen bereits am 27. Mai leisten, was jedoch nicht geschah. Daraufhin setzte eine Schonfrist von 30 Tagen ein, die nun endete. Da im Anleiheprospekt keine genaue Frist angegeben ist, halten es die Anwälte für möglich, dass Russland noch bis Ende Montag Zeit habe, um seine Gläubiger zu bedienen.

Allerdings gibt es aktuell kaum Anzeichen dafür gab, dass die Investoren ihr Geld bekommen. Seit dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar haben weitreichende Sanktionen Russland vom globalen Finanzsystem ausgeschlossen. Seither hat Moskau trotz milliardenschwerer Devisenreserven Schwierigkeiten, die Zahlungen für ausstehende Anleihen in Höhe von insgesamt 40 Milliarden Dollar zu leisten.

Der Kreml hat wiederholt erklärt, dass er keinerlei Gründe für eine Zahlungsunfähigkeit sieht. Man sei aber aufgrund der Sanktionen nicht in der Lage, Geld an die Anleihegläubiger zu überweisen. Der Westen wird deshalb beschuldigt, das Land in eine künstliche Zahlungsunfähigkeit treiben zu wollen.

Russland St. Petersburg | Internationales Wirtschaftsforum | Wladmir Putin

Staatspräsident Wladimir W. Putin beharrt darauf, dass sein Land noch lange nicht insolvent ist

Rubel statt Dollar?

Russlands Finanzminister Anton Siluanow hatte den drohenden Zahlungsausfall in der vergangenen Woche als “Farce” bezeichnet. Jeder, der die Vorgänge verstehe, wisse, dass es sich nicht um einen Zahlungsausfall handele.

Die Hintergründe des aktuellen Falls sind kompliziert und suchen ihren historischen Vergleich. Russland betont, wirtschaftlich in der Lage und auch Willens zu sein, seine Schulden zu bedienen. Dem stehen jedoch scharfe Sanktionen vornehmlich westlicher Länder entgegen, die als Reaktion auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine ergriffen wurden.

Deswegen kann Moskau weder auf den Großteil seiner Finanzreserven im westlichen Ausland zugreifen noch heimische Reserven an westliche Gläubiger weiterleiten, obwohl Moskau seine Schulden offenbar bedienen will und dies angesichts vorhandener Reserven auch könnte.

Strittig ist auch die Zahlung in der russischen Landeswährung Rubel. Eigentlich sind Zinszahlungen bei Auslandsschulden in der Regel in US-Dollar oder Euro vorgesehen. Da Russland sanktionsbedingt aber keinen Zugriff mehr auf seine im Westen lagernden Devisenreserven hat, soll fortan in der russischen Währung gezahlt werden. Staatspräsident Wladimir Putin hatte am Mittwoch ein entsprechendes Dekret unterzeichnet.

Moskau ist nicht pleite

Grundsätzlich gilt ein Staat als zahlungsunfähig, wenn er seine Schulden nicht mehr bedienen kann, also Probleme mit der Zinszahlung oder der Schuldentilgung hat. Normalerweise treten solche Probleme auf, wenn Staaten über ihre Verhältnisse Geld ausgegeben haben und überschuldet sind oder aus sonstigen Gründen an Kreditwürdigkeit eingebüßt und ein Liquiditätsproblem haben. Typische Beispiele sind die früheren Staatspleiten Argentiniens oder die Finanzprobleme Griechenlands während der Euro-Krise ab dem Jahr 2010. Mit dem Fall Russlands verhält es sich aber ganz anders.

Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatspleite. Das Land verfügt über erhebliche finanzielle Mittel im In- und Ausland. Haupteinnahmequelle sind die großen Mengen an Rohstoffen, die Russland über die Jahre ins Ausland verkauft hat – und weiterhin verkauft. Im Gegenzug hat das Land Devisen erhalten, also ausländische Währungen.

Ölförderung in Russland

So lange Russland, wie hier bei Usinsk, Öl fördert und zu hohen Preisen verkauft, hat Putins Reich genug Geld

Außerdem ist Russland im internationalen Vergleich nicht hoch verschuldet: Mit etwa 20 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt die Schuldenquote deutlich niedriger als in vielen westlichen Industrieländern.

Wer bestimmt, wann ein Staat pleite ist?

Die drei großen Bonitätswächter Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch werden von Staaten und Kreditgebern bezahlt, um die Kreditwürdigkeit von Schuldnern zu beurteilen. Im Falle Russlands sind sie aber außen vor, da Sanktionen der Europäischen Union es ihnen verbieten, die Finanzlage zu bewerten.

Daneben gibt es das internationale Investoren-Komitee CDDC, das aus großen Banken besteht. Es entscheidet bei Zahlungsproblemen, ob Kreditausfallversicherungen (CDS) fällig werden und die Käufer solcher Absicherungen Entschädigung erhalten. Ein solcher Fall kommt einem Zahlungsausfall und damit einer Staatspleite zumindest nahe.

dk/bea (dpa, rtr)