Der Regen hat gerade aufgehört, als Siiri in Gummistiefeln mit einem Eimer Futter durch den Matsch zur Schafsweide stapft. Ein Pferd und ein Dutzend Schafe kommen angelaufen, die übrigen Tiere haben es sich im trockenen Stall gemütlich gemacht. Hinter der Weide, am Saum der grauen Wolken, erstreckt sich ein großes Stück Wald. Siiri lebt mit ihrer Familie, Pferd, Hund, einer kleinen Schafsherde und ein paar Hühnern auf einem stillgelegten Bahnhof mitten im Sauerland. Wenn sie sich gerade nicht um die Tiere oder den Forstbetrieb kümmert, macht die 28-Jährige Musik, genauer genommen Countrymusik – passend zum Landleben?

In den 1920er-Jahren brachten englische und irische Einwanderer ihre Musik mit in die “Neue Welt”. Vor allem in den Südstaaten der USA entstand aus dem europäischen Folk und dem Blues der schwarzen US-Amerikaner eine neue Musikrichtung. Tennessee oder Kentucky waren Hochburgen – diese eher ländlichen Gegenden gaben dieser neuartigen Musik ihren Namen: Country.

Siiris Herkunft aus einer dörflichen Gegend Deutschlands und ihre Musikrichtung fallen allerdings zufällig zusammen. Schon immer begeisterte sie sich für das Singen. Mit 12 Jahren bekam sie ihre erste Gitarre und brachte sich das Spielen selbst bei. Den Weg zur Countrymusik habe sie aber erst spät gefunden, sagt sie.

Eine junge Frau steht lächelnd in einem Stall, umgeben von Schafen, auf dem Arm trägt sie ein Lamm.

Siiri hält eine kleine Schafsherde. Dazu gehören auch einige Lämmchen

Von Punkrock zur Countrymusik

“Eigentlich habe ich früher immer Punkrock gehört”, erzählt sie lachend. Während ihres Studiums begann sie, Straßenmusik zu machen. “Ich habe dann versucht, für meine eigenen Songs eine Musikrichtung zu definieren. Irgendwann merkte ich, das hat was von Country, wie ich singe.”

Schließlich begann sie Countrymusik von Künstlern und Künstlerinnen wie Eric Church, Luke Combs und Shania Twain zu hören. Aber nicht nur große Countrystars inspirieren Siiris Musik. Auch ihr Leben auf dem Land prägt sie: “Es ist ein gewisses Lebensgefühl, was dadurch transportiert wird”, sagt sie. Trotzdem beschäftigt sich ihr erstes Album “Independence” (2022) nicht direkt mit dem Landleben. “Wenn mir etwas auf der Seele brennt, habe ich das Bedürfnis es loszuwerden und in einem Song zu verarbeiten.” Bisher seien das vor allem gesellschaftliche Themen gewesen.

Songs über die Jahrhundertflut

Eine besonders bewegende Geschichte hat ihr Song “Rain is Falling”. “Das Lied handelt davon, wenn man in einem psychischen Loch ist und nicht mehr weiter weiß. Er gibt am Ende aber auch Hoffnung.”

Kurz bevor Siiri das Lied im Juli 2021 aufnehmen wollte, kam die große Flutkatastrophe, die nicht nur das Ahr-, sondern auch große Teile des Lennetals in Nordrhein-Westfalen unter Wasser setzte. Darunter auch das Tonstudio von Franky Kühnlein und Michael Danielak in Hagen.

“Es war der letzte Song, der noch für das Album fehlte”, berichtet Siiri. Erst viel später, als das Studio wieder nutzbar war, konnten sie den Song aufnehmen. Bis dahin habe Siiri weiter an dem Text geschrieben. “All die Erlebnisse flossen mit in den Song ein.”

Countrymusik – das konservative Musikgenre?

Am nächsten Vormittag hat Siiri die Gummistiefel gegen Cowboy-Boots getauscht und steht im Tonstudio für eine Probe. Die Spuren der Flut sind nicht mehr sichtbar. Sie schnappt sich ihre Gitarre und spielt schon vor Beginn der Probe die ersten Akkorde von “Independence”.

Siiri steht mit umgehängter Gitarre vor einem Mikrofonständer in einem Tonstudio.

Im Tonstudio probt Siiri für ihren nächsten Auftritt

Mit den Cowboystiefeln, der karierten Bluse, der Gitarre und dem Sound passt Siiri perfekt in das Bild des amerikanischen Country – aber ihre Songtexte erzählen eine andere Geschichte.

Countrymusik in den USA ist eher für konservative Werte bekannt, die Hand in Hand mit fehlender Toleranz gehen. “Ich sehe das total kritisch. Ich selbst möchte mit meiner Musik andere Werte transportieren”, sagt Siiri. Es ist deswegen auch kein Zufall, dass ihre Songs mit Titeln wie “Independence” oder “Song for Women” von Unabhängigkeit und Gleichberechtigung handeln. “Ich denke, der große Unterschied zwischen amerikanischer und deutscher Countrymusik ist eben, dass Country in Deutschland andere Geschichten erzählt und es unterschiedliche Interpretationen des Genres gibt”, sagt sie. Aber auch in Amerika ist das Genre im Wandel. Das zeigt sich besonders in den Songs vieler Künstlerinnen, die in ihren Liedern lange tabuisierte Themen ansprechen – aus weiblicher Sicht.

 

Trotzdem scheinen die veralteten Werte von Amerikas Countrymusik die Sicht auf das Genre lange geprägt zu haben. “Als ich anfing, beruflich Country zu machen, konnten vor allem ältere Leute was mit meiner Musik anfangen. Bei den Jüngeren kam das eher nicht so gut an”, berichtet Siiri. Der Erfolg von den meisten deutschen Country-Acts liegt größtenteils schon mehrere Jahre zurück.

In den 1970ern und 80ern war die Band Truck Stop mit ihrer deutschsprachigen Countrymusik besonders populär. Ungefähr zur gleichen Zeit begannen auch Künstler wie Tom Astor und Gunter Gabriel, Country zu machen. Seit den 2000ern bis heute ist die Berliner Band The BossHoss im Bereich des Country-Rock Genres populär.

The Boss Hoss – Cowboys an der Chartspitze

Countrymusik wird beliebter

Mit dem Wandel des Genres in Amerika scheint sich auch die Fangemeinde zu wandeln. “Ich habe das Gefühl, Countrymusik wird in Deutschland immer populärer, mittlerweile auch bei der jüngeren Generation”, sagt Siiri. Auch ihr Produzent Franky Kühnlein sieht die immer größer werdende Popularität des Genres: “Ich glaube, dass Countrymusik in Deutschland gerade so einen Aufwind bekommt. Es kommen mehr Countrykünstler aus den Staaten, die hier erfolgreiche Konzerte spielen.”

Countrymusik kann aber auch ihren Platz zwischen den populären Genres in Deutschland finden. 2022 trat Siiri zum Beispiel bei einem Popkonzert als Voract der Sängerin Sarah Connor auf. “Ich denke auch Festivals wie  Rock am Ring/Rock im Park wären für Countrymusik offen”, meint Kühnlein. Sein Kollege Michael Danielak ergänzt: “Würde Johnny Cash noch leben, würde er auf Wacken spielen.”