Im krisengebeutelten Sri Lanka haben Sicherheitskräfte das größte Protestcamp regierungskritischer Demonstranten in der Hauptstadt Colombo geräumt. “Es war ein systematischer und vorsätzlicher Angriff”, sagte ein Anführer der Bewegung gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Nach Angaben der Demonstranten wurden bis zu 50 von ihnen verletzt.

Die Soldaten gingen mit Schlagstöcken und automatischen Sturmgewehren bewaffnet auf die Demonstranten vor dem Präsidentenpalast in Colombo los. Auch rissen sie Zelte nieder und errichteten Barrikaden um das Protestlager, damit niemand zurückkehren konnte. Mehrere hundert Menschen hatten sich versammelt, um den Rücktritt Ranil Wickremesinghes zu fordern – der neue Präsident von Sri Lanka, der erst wenige Stunden zuvor vereidigt worden war. Sie machen ihn neben seinem geflüchteten Amtsvorgänger Gotabaya Rajapaksa für die seit Monaten anhaltende Wirtschaftskrise mitverantwortlich.

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Ausnahmezustand und Proteste in Sri Lanka

Der Einsatz wurde durchgeführt, kurz bevor Wickremesinghe seinen politischen Rivalen Dinesh Gunawardena als Ministerpräsidenten vereidigte. Die beiden sind zwar seit der Schulzeit befreundet, vertreten aber politisch gegensätzliche Positionen: Wickremesinghe ist ein pro-westlicher Befürworter freier Märkte – Gunawardena hingegen ein Nationalist, der eine sozialistische Politik und eine größere staatliche Kontrolle der Wirtschaft befürwortet. 

Alte Schulfreunde, politisch aber Gegner: Präsident Ranil Wickremesinghe (l.) vereidigt den neuen Regierungschef Dinesh Gunawardena

Alte Schulfreunde, politisch aber Gegner: Präsident Wickremesinghe (l.) vereidigt den neuen Regierungschef Gunawardena

Internationale Empörung nach dem Einsatz

Hunderte Aktivistinnen und Aktivisten demonstrierten nach der Auflösung des Protestcamps gegen den Einsatz der Sicherheitskräfte und forderten erneut den Rücktritt Wickremesinghes, die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen.

Der Einsatz des Militärs gegen die Demonstranten löste auch international Kritik aus. Die US-Botschafterin in Colombo, Julie Chung, sprach ihre “tiefe Besorgnis” aus und forderte eine umgehende ärztliche Versorgung der Verletzten.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte zum Respekt der Meinungsfreiheit auf und warf den Behörden Gewalt gegen Journalisten vor, die über den Einsatz berichteten. Unter ihnen sei auch ein Fotograf der britischen Rundfunkanstalt BBC gewesen.

Was passiert in Sri Lanka?

Das Land erlebt derzeit die schwerste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1948. Die Regierung war zuletzt nicht mehr in der Lage, die wichtigsten Importe wie Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente zu finanzieren. Grund ist unter anderem eine starke Abwertung der Landeswährung, wodurch Importe erheblich teurer wurden.

Inzwischen hat Sri Lanka den Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie Russland um Hilfe gebeten.

laa/sti (afp, dpa, rtr)