Liebe Ms. Blyton,
an Ihrem 125. Geburtstag am 11. August sehe ich Sie vor mir, mit bester Laune im Land der alten Schreibmaschinen. Sie haben es schon gemerkt: Ich beziehe mich auf die Länder, die Sie in “Der Wunderweltenbaum” beschrieben haben – wo ein Baum, der in einem verzauberten Wald wuchs, Äste hatte, die hoch in die Wolken ragten, von dessen Krone aus man in die wundersamsten Länder gelangen konnte.
Diese Länder konnten liebenswert, geheimnisvoll, merkwürdig oder auch feindselig sein: Das Land der Geschenke, das Tu-was-du-willst-Land, das Traumland oder das Land der Magischen Medizin. Nicht zu vergessen die faszinierenden Bewohner des Baumes: das Mondgesicht, die Fee Seidenhaar, der Pfannenmann, Frau Wasch.
Und keine Geschichte von Ihnen ist vollständig, ohne dass die verlockendsten Lebensmittel darin vorkommen. Sie haben Brötchen mit dem Namen “Google” erfunden, lange bevor eine Suchmaschine namens Google unseren globalen Sprachgebrauch beherrschte.
Das 1943 geschriebene Buch “Der Wunderweltenbaum” wurde zeitgemäß überarbeitet
Diese Google-Brötchen hatten in der Mitte eine Johannisbeere, die mit Sorbet gefüllt war, und wenn man in die Johannisbeere biss, schäumte das Sorbet und füllte den Mund mit feinen Bläschen.
Abenteuer und Schulmädchen
Ich bin im Malaysia der 1970er-Jahre mit Ihren Büchern aufgewachsen und verdanke Ihnen mein frühes Verständnis für die englische Sprache. Fast alle Bücher, die ich im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren gelesen habe, haben Sie geschrieben.
Immerhin haben sich Ihre Kinderbücher seit den 1930er-Jahren weltweit mehr als 600 Millionen Mal verkauft und wurden in 90 Sprachen übersetzt. Im Juni 2019 standen Sie auf Platz vier der meistübersetzten Autoren, gleich hinter Ihrem Landsmann William Shakespeare.
Das Bücherregal von DW-Redakteurin Brenda Haas
Das erste Buch, das ich gelesen habe, war “Fünf Freunde beim Wanderzirkus” – der fünfte Band Ihrer “Fünf Freunde”-Serie. Am Ende des Buches wollte ich bei einem Zirkus arbeiten, in einem Wohnwagen umherziehen und einen Schimpansen namens Pongo als Haustier haben.
Ich durchstöberte unsere bescheidene “Bibliothek” zu Hause und las mich unersättlich durch unsere unvollständigen Sammlungen der “Fünf Freunde”-Reihe, der “Schwarzen Sieben”, der “Geheimnis um…” – und der “Abenteuer”-Serie. Damit nicht genug, lieh ich mir in meiner Schulbibliothek Ihre Internatsgeschichten von “Dolly” und “Hanni & Nanni” aus. Da ich ein von irischen Nonnen geführtes Mädchenkloster besucht habe, konnte ich die meisten Erlebnisse und Gefühle dieser Schülerinnen nachempfinden. Aber dazu später mehr.
Sie haben meine Fantasie beflügelt und mich von Abenteuern träumen lassen: in Höhlen hinter Wasserfällen schlafen, auf Heidekraut liegen, klebrige Makronen essen, Landkarten entziffern, aus dem Inhalt alter Konservendosen ein Festmahl machen. Dann wird man erwachsen und stellt fest, dass in Höhlen Fledermäuse leben, dass Heidekraut kratzig ist und abgelaufene Konservendosen in den Müll gehören. Ich habe noch nie eine Makrone probiert, die klebrig ist. Und Kartenlesen? Nun, dafür haben wir heute Navigationssysteme.
Aber ein Picknick mit frischem Brot und Kuchen, “Unmengen von hart gekochten Eiern”, alles “mit Limonade heruntergespült”? Das gefällt mir!
Die “Fünf Freunde” in einem deutschen Kinofilm von 2012
Mangel an literarischem Wert
Einige Dinge waren allerdings – und vor allem aus heutiger Sicht – etwas befremdlich: zum Beispiel, dass die Jungen oft auf riskante Missionen gehen durften, während die Mädchen kochen und putzen mussten. Oder wie das Mädchen George von den “Fünf Freunden” wegen ihrer Kleidung und ihrer kurzen, lockigen Haare als “Wildfang” bezeichnet wurde – als ob “richtige” Mädchen auf eine bestimmte Weise auszusehen hatten. Und Ausländer waren oft entweder zwielichtig oder hatten einen komischen Akzent.
Und im Nachhinein betrachtet waren Ihre Schülerinnen im Teenageralter weder in Jungs oder Popmusiker verknallt, noch hatten sie Probleme mit Akne oder Menstruationsbeschwerden. Jedenfalls wurden Ihre Werke als “elitär, sexistisch, rassistisch und fremdenfeindlich” gebrandmarkt, und die BBC weigerte sich, Ihre Geschichten zwischen den 1930er- und 1950er-Jahren auszustrahlen, weil man sie für “literarisch nicht besonders wertvoll” hielt.
Ich möchte Sie über einige kürzlich vorgenommene Änderungen an Ihren Werken informieren: Madame Slap (Klaps) aus “Der Wunderweltenbaum” wurde im Englischen in Madame Snap umbenannt, da die körperliche Züchtigung von Kindern weitgehend verboten worden ist. Sexuell konnotierte Namen wie Fanny und Dick wurden in Franny und Rick umbenannt. Und körperverachtende Spitznamen wie Fatty kommen bei den lesenden Kindern im 21. Jahrhundert auch nicht gut an.
Ihre Bücher stammen aus einer anderen Zeit
Ms. Blyton, Sie sind nach wie vor eine polarisierende Figur. Die einen fordern, Sie zu boykottieren. Andere wünschen sich einen entspannteren Umgang mit Büchern, die in einer vergangenen Epoche geschrieben wurden, in der sich Kultur, Gesellschaft und Sprache stark von der heutigen Zeit unterscheiden.
Die britische Free Speech Union (eine Organisation, die sich für Redefreiheit einsetzt) hat mit folgenden Worten auf die Aufregung um die jüngste Überarbeitung vom “Wunderweltenbaum”, das Buch, das Sie ursprünglich 1943 geschrieben haben, reagiert:
“Klassische Werke der Kinderliteratur sollten nicht umgeschrieben werden, um sie politisch korrekter zu machen. Sie stammen aus ihrer Zeit. Und Kindern beizubringen, dass frühere Generationen anders dachten als sie, ist eine wertvollere Lektion als das Ersetzen fragwürdiger Textstellen durch lustige Plattitüden…”
In Blytons Büchern entdecken Kinder die Welt, jagen Verbrecher und finden Schätze
Dennoch glaube ich zu wissen, warum einige Erwachsene, die Ihre Werke als Kinder gelesen haben, immer noch eine Schwäche für Sie haben: Sie schrieben über Kinder, die frei Wälder, Höhlen oder Schlösser entdeckten, ohne dass sie von Erwachsenen beaufsichtigt wurden, und deren Eltern sich keine Sorgen machten, dass das Sozialamt sie wegen Vernachlässigung der Kinder verklagen würde. Ihre Geschichten beschwören heitere Zeiten herauf, in denen es weder den Klimawandel noch Pandemien gab.
Und sie feierten feste Freundschaften, die Liebe zu Haustieren und die Lust auf Abenteuer.
Also Ms. Blyton, alles Gute zum 125. Geburtstag. Schauen Sie zur Feier des Tages im Land der Picknicks vorbei – ich hoffe, Sie werden ein genauso wunderbares Fest erleben, wie Sie es in Ihren Büchern so oft beschrieben haben.
Hochachtungsvoll,
Brenda Haas
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.