“Wenn der Kölner Dom fertig ist”, besagt ein altes Kölner Sprichwort, “geht die Welt unter.” Tatsächlich sieht man den Dom niemals ohne Baugerüste. “Und das ist gut so”, sagt Dombaumeister Peter Füssenich, “denn wäre der Dom gerüstfrei, hieße das, dass das Bauwerk dem Verfall preisgegeben ist.”

Der Kölner Dom zieht Millionen Besucher an

So weit lässt es die Kölner Dombauhütte gar nicht erst kommen. Ihre Aufgabe ist es, die gotische Kathedrale für die Nachwelt zu erhalten. Schon 700 Jahre hat der Dom überdauert. Er trotzte dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und galt bei seiner Vollendung im 19. Jahrhundert als Nationalsymbol für Deutschland. Wie durch ein Wunder überstand er den Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) und wurde zum Symbol des Wiederaufbaus. Heute zieht das berühmte Bauwerk – seit 1996 UNESCO-Weltkulturerbe – jährlich zwischen sechs und sieben Millionen Besucherinnen und Besucher an.

Mit Sand gesäubert: Der Kölner Dom

Was vielen verborgen bleibt, ist die Arbeit der Dombauhütte. Ein Knochenjob, für den es viel Wissen und noch mehr handwerkliche Fähigkeiten braucht. Im 19. Jahrhundert, als der mittelalterliche Dom vor der offiziellen Vollendung stand, wuchs das Heer von Bauleuten auf 500 Menschen an. Im Jahr 1902 endlich verkündete der damalige Dombaumeister Richard Voigtel, der Dombau sei abgeschlossen. Als nur vier Jahre später eine Engelsfigur von der Fassade stürzte, nahm man die Bausanierung aber schnell wieder auf. Heute zählt die Dombauhütte gut 100 Mitarbeitende. Ob für Stein, Glas, Metall, Holz oder den Gerüstbau – für jedes Gewerk gibt es Spezialisten.

“Nichts Grandioseres als der Dom”

Eine davon ist Tanja Pinkale, Leiterin der Werkstatt für Steinrestaurierung. Die gelernte Steinmetzin und studierte Restauratorin hat sich dem Kölner Dom verschrieben und schwankt dabei zwischen Wissenschaft und Handwerk: Die Hälfte ihrer Zeit brütet die 32-Jährige im Büro über Plänen und Zahlenwerk. Doch so oft es geht, steht sie auf dem Gerüst “am Stein”, wie die Steinmetze sagen: “Es gibt nichts Grandioseres als dieses Bauwerk!” Wie ein Gebirge aus Stein erhebt sich die gotische Kathedrale mit ihren Zwillingstürmen über der Großstadt am Rhein. An mehreren Stellen kleben Gerüste an der alten Steinfassade. Sprosse für Sprosse erklimmt Tanja Pinkale das turmhohe Arbeitsgerüst aus Stangen und Leitern. An der Nordseite des Doms, wo sich die Chorkapelle dem geschäftigen Kölner Hauptbahnhof zuwendet, ist aktuell die größte Baustelle des Doms. Denn das Trachytmauerwerk aus dem 13. Jahrhundert hat zu bröckeln begonnen. Es wird zunächst vorsichtig mit Hochofenschlacke gesandstrahlt, um möglichst viel von der Oberfläche zu erhalten. “Wir machen das so sanft wie ein Peeling”, verspricht die Restauratorin. Mit ihr ist auch Albert Distelrath auf die windumwehte Plattform in 15 Metern Höhe geklettert. Der stellvertretende Dombaumeister managt die Baustelle. Mit Kennerblick beäugt er die Kristalleinschlüsse, die so typisch für den Trachyt sind. Das vulkanische Gestein wurde im Mittelalter vom Drachenfels bei Bonn, wo die Dombauhütte einen eigenen Steinbruch unterhielt, nach Köln verschifft. Die Lage des Kölner Doms und anderer Sakralbauwerke entlang des Rheins ist kein Zufall.

Möglichst originalgetreue Rekonstruktion

“Trachyt ist gut”, sagt Distelrath, “aber leider auch sehr inhomogen.” Schwankt die Temperatur, führt das zu Spannungen und Rissen. Salz und Frost dringen ein. Teile des Steins springen ab. Etwa 50 Steinsorten wurden im Laufe der Zeit am Kölner Dom verbaut. Nahezu alle Mauern und Pfeiler sind aus Trachyt errichtet. Für die Fundamente nutzten die Baumeister Säulenbasalt und Tuff, bei den Gewölben Tuffstein.

“Wir bemühen uns, alle Elemente des Domes bis ins Detail möglichst originalgetreu zu rekonstruieren”, sagt Tanja Pinkale. Als Vorlage dienen die noch erhaltenen Werkstücke des Mittelalters und des 19. Jahrhunderts. Ersatzgestein, bei dem Farbe, Struktur Wasseraufnahme- und Trocknungseigenschaften in etwa stimmen, kommt aus einem Steinbruch im italienischen Örtchen Montemerlo bei Padua. Mit eigens entwickelten Mörteln werden Oberflächen gespachtelt und Fugen gefüllt.

Der Klimawandel schadet dem Dom

Nicht jede Gefahr für den Dom erwächst aus dem Stein. Lange Zeit waren es die Schwefelstoffe in der Luft, die dem Gemäuer zusetzten und es schwarz färbten. Das gehört der Vergangenheit an. “Zwar ist die Luft jetzt sauberer”, sagt die Steinrestauratorin, “dafür wächst das Grün schneller.” Moos, Gras, kleine Bäume – der Bewuchs macht den Dom zu einem großen Biotop.

Lineal der Restauratoren liegt auf Steinen

In Experimenten fand die Dombütte zu ihrer ganz eigenen Mörtelmischung

Noch mehr Sorgen bereitet Pinkale und Distelrath aber der Klimawandel: “Starkregen, Sturm, Dürre” – für ein solches Klima ist der Dom nicht gebaut!”, so Pinkale. Eine Klimastation überwacht inzwischen Wind und Wetter rund um den Dom. Die gemessenen Daten gehen an das Forschungsprojekt “Keres” der Fraunhofergesellschaft. Weht der Wind zu stark, sperrt die Polizei den Domplatz. Bei Blitzeinschlag oder Gesteinsabbrüchen muss die Dombauhütte ran. Gut 15 Jahre wird es dauern, bis das Trachytmauerwerk, der älteste Mauerteil des Doms aus dem 13. Jahrhundert, gereinigt und saniert ist. “Eigentlich weiß ich heute schon, an welchen Projekten ich in den nächsten 40 Jahren arbeiten werde”, lacht Tanja Pinkale, während sie vorsichtig am Gerüst herabklettert. Klar ist für sie auch: Die Arbeit der Dombauhütte am Kölner Dom ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Seit 2018 veranstaltet der Europäische Dachverband der Restauratorenverbände den “Europäischen Tag der Restaurierung”. In Deutschland dreht sich am 16. Oktober alles um das “Kulturerbe im Klimawandel”. Bei rund 200 Veranstaltungen geben Restauratorinnen und Restauratoren Einblick in ihre Arbeit in Museen , in privaten Ateliers, den Hochschulen, Denkmalämtern, Archiven,Kirchen oder auch Schlösserverwaltungen.