Am Anfang war Geräusch. So könnte man die Aussage des ersten Konzerts deuten, mit dem sich das Beethovenfest 2022 am Freitag, dem 26. August 2022, dem Publikum präsentierte. Zum Auftakt spielten die Musikerinnen und Musiker des renommierten Budapest Festival Orchestra unter der Leitung von Maestro Iván Fischer “Workers Union” des niederländischen Komponisten Louis Andriessen (1939 – 2021) – tatsächlich kein Klassiker für die Eröffnung eines Festivals, das dem 1770 in Bonn geborenen Ludwig van Beethoven gewidmet ist.

Beim Workers Union von Louis Andriessen tragen die Musiker Bauhelme

Aufführung von “Workers Union” von Louis Andriessen: Musiker als Bauarbeiter

Das Werk, vor einem halben Jahrhundert entstanden, ist eine rhythmische Explosion. Es ist komponiert für “any loud sounding group of instruments”, so der Hinweis des Autors, eben für Instrumente, die laut sind. Ob Violine, Flöte, Wasserflasche oder Papiertüte: Alles, was Geräusch, Ton oder auch Krach macht, darf zum Einsatz kommen.

Paukenschlag zum Auftakt des Beethovenfests

Und was hat das mit Beethoven zu tun? “Es wird schon mal vergessen, dass der Komponist ein unglaublicher Neutöner und sogar Provokateur in seiner Zeit war”, sagt Dirigent Iván Fischer im DW-Interview. “Wir wollten Beethoven in einen neuen Kontext setzen, der ungewöhnlich und provokant klingt.” Das Programm des Abends sei deshalb eine Art “Anleitung zur Revolution als Normalzustand der Menschheit.”

Mit Szenen aus “Le Grand Macabre”, der Oper des großen ungarischen Komponisten György Ligeti und der ikonischen Dritten Sinfonie, der “Eroica” von Ludwig van Beethoven, ging der Abend in der Bonner Oper weiter. Mit begeistertem Applaus zum Schluss – für die Musiker und die Programmmacher.

Beethoven neu entdecken

Seit diesem Jahr ist in Bonn ein neues Festivalteam am Start, angeleitet vom jungen Intendanten Steven Walter. Bereits 1845 wurde in Bonn ein Beethovenfest ausgetragen, mit organisiert von keinem Geringeren als dem Komponisten Franz Liszt.

Jede neue Generation bringt ihre eigene Deutung von Beethovens Werk und eine eigene Art, den Komponisten in Bonn zu feiern. “Die Jahrhundertfigur Ludwig van Beethovens gehört zu unserer Kultur, nicht weil wir ihn aus Denkmalschutz-Gründen erhalten wollen, sondern weil sein Werk uns bis heute inspiriert”, sagte Steven Walter in seiner Rede anlässlich des Eröffnungskonzerts.

Intendant Steven Walter, junger Mann in blauem Hemd

Bringt nach Bonn seine Vorstellungen mit: Intendant Steven Walter

Diese Inspiration liegt nun in Form eines Programms mit über 100 Veranstaltungen vor, vom klassischen Konzertabend über Geheim- und Dunkelkonzerte bis zu einem Party-Abend oder dem Open-Air-Marathon “Bühne frei für Beethoven” in der Innenstadt von Bonn. Manchmal reiche ein neues Format, um einen frischen Blick auf die Musik zu ermöglichen, so Walter. Dazu gehört auch ein Konzert, bei dem das Publikum mitten im Orchester sitzen kann, wie bei der nächtlichen Aufführung der “Eroica” – ein Konzerterlebnis, der mit den Hörgewohnheiten bricht und scheinbar vertraute Klänge neu erlebbar macht.

“Alle Menschen” – dieses Motto, abgeleitet aus dem Finale der Neunten Sinfonie Beethovens mit ihrer berühmten Freiheitshymne, dient dem Festival, das bis 17. September in Bonn zu erleben ist, als Leitfaden.

Solidarität mit der Ukraine

Alle Menschen – auch diejenigen, die im Krieg leben und leiden müssen – stehen im Mittelpunkt des Festspielprogramms. So ist ein weiteres zentrales Ereignis der Eröffnung das Solidaritätskonzert mit der Ukraine, ermöglicht durch Spenden der Unterstützerinnen und Unterstützer des ukrainischen Jugendorchester (YSOU).

Fünf junge Musiker auf der Bühne

Spielten bereits beim Eröffnungswochenende: Musiker des ukrainischen Jugendorchesters YSOU

Ein besonderes Highlight des Abends ist die Uraufführung des Werks der ukrainischen Komponistin Victora Poleva “Butscha. Lacrimosa”. Unter dem Eindruck der zerstörten Ortschaft Butscha bei Kiew, wo Russland unfassbare Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübt hat, komponierte Poleva ein Stück für Violine und Orchester.

“Es ist eine Betrachtung darüber, wie die Seelen der gefolterten, vergewaltigten, erschossenen Ukrainerinnen und Ukrainer zum Himmel steigen, wie Ströme”, sagt Poleva. “Die schreckliche Wunde von Butscha wird für immer in unseren Seelen bleiben. Dieses Werk zu schreiben, war für mich die einzige Überlebensmöglichkeit. Die Glut von Butscha schwelt in meinem Herzen.”

Das Konzert findet in der Oper Bonn am 29. August statt. Es wird neben fünf weiteren Konzerten des Festivals von DW Classical Music auf YouTube gestreamt.