Die Temperaturen klettern auf 39 Grad in Berlin. Während viele Bewohner der Stadt ihre Rolläden herunterlassen und die elektrischen Ventilatoren anschalten, sind jene ohne eine eigene Wohnung der extremen Hitze ausgesetzt – mit all den gesundheitlichen Risiken, die damit einhergehen. Kühlende Orte zum Ausweichen gibt es kaum. Unter ihnen sind Lilyana und ihr Freund Elias. “Ich sehe aus wie eine Touristin”, scherzt Lilyana, während sie ihren Schlapphut richtet.
Beide kommen ursprünglich aus Bulgarien. Sie sitzen im Schatten und warten darauf, dass sich die Türen eines neues Pilotprojekts im Berliner Stadtteil Schöneberg öffnen. Die “Hitzehilfe” bietet bis 20 Uhr abends den Menschen, die einen kühlen Zufluchtsort suchen, eine Dusche und ein Nickerchen in einem der 30 verfügbaren Betten.
Bettenlager beim Projekt der Hitzehilfe
Für Lilyana steht eine kalte Dusche ganz oben auf der Liste: “Auf der Straße kriegen wir das manchmal hin, wenn es um Essen und Trinken geht. Aber ohne Dusche und Schlafen geht das Leben einfach nicht.” Die 31-Jährige hat während der Corona-Pandemie ihre Arbeit und Wohnung verloren. “Ich bin erst seit etwas über einem Jahr obdachlos”, sagt sie. “Früher habe ich auf der Straße gearbeitet und mich prostituiert. Damit habe ich aber aufgehört.”
Lilyana und Elias wollen in der Hitzehilfe-Notunterkunft duschen und zur Ruhe kommen
Elias sagt, er könne nicht arbeiten, weil er alle Dokumente verloren habe. “Langsam geht’s aber voran mit den ganzen Papieren”, sagt er, bevor er einen der Räume für eine Siesta ansteuert.
Im Winter “Kälte-“, im Sommer “Hitzehilfe”
Eine frisch aufgeschnittene Wassermelone wartet auf die Gäste im Gemeinschaftsraum der “Hitzehilfe”. An der Wand stapeln sich Kisten mit Wasserflaschen. Auf einem langen Tisch stehen wiederbefüllbare Flaschen, Sonnencreme, Hüte, Schlafsäcke, Toilettenartikel, Gesichtsmasken und frische Kleidung. Auch Waschmaschinen sind vorhanden.
Erste Hilfe gegen die Sonne in der “Hitzehilfe”
Der Berliner Senat finanziert das Pilotprojekt mit rund 106.000 Euro. Die vom Sozialverband IB Berlin-Brandenburg ins Leben gerufene Hitzehilfe soll die Wohnungslosen etwas entlasten – zumindest für ein paar Stunden am Tag.
Das Gebäude, bereitgestellt vom Bezirk Schöneberg, wird normalerweise in den Wintermonaten für die Initiative “Kältehilfe” genutzt, die eine warme Unterkunft bietet, besonders nachts. Doch während der extremen Hitze im Sommer wird die Notunterkunft vor allem am Tag gebraucht.
Die Linken-Politikerin und Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Katja Kipping sagt, dass die Gesellschaft sich der Gefahren extremer Hitze bewusst werden müsse: “In Berlin haben wahrscheinlich viele Menschen in der kalten Jahreszeit die Handynummer der ‘Kältehilfe’ eingespeichert. Auf der anderen Seite ist es in der Hitzesaison nicht so präsent.”
Linken-Politikerin Katja Kipping will auf die Gefahren durch extreme Hitze aufmerksam machen
“Bisher kommt das Modellprojekt gut an”, sagt Sozialarbeiter Artur Keil. Er achtet darauf, dass die brodelnde Suppe auf dem Herd nicht überkocht. Den ganzen Tag über gibt es bei der “Hitzehilfe” Essen. “Die meisten, die vorbeikommen, kennen wir von der ‘Kältehilfe’. Von dem neuen Projekt erfahren die Leute durch Mund-zu-Mund Propaganda von den anderen”, sagt er.
Artur Keil sagt, dass es unter den Obdachlosen, die jetzt Schutz vor der Hitze suchen, viele bekannte Gesichter gebe
Gefahr der Dehydration durch die Hitze
“Was wir in den letzten Tagen gesehen haben, ist, dass viele Menschen einfach ausruhen und schlafen wollen. Dazu kommen sie draußen in der Hitze kaum, hier aber können sie dann in kühleren Räumen schlafen”, sagt Janette Werner, Regionalleiterin von IB Berlin.
Übermäßiger Alkohol- oder Drogenkonsum bei einigen Wohnungslosen erhöhe das Risiko noch einmal, sagt sie der DW: “Nachdem sie Alkohol getrunken haben, merken viele gar nicht, dass sie in der Hitze einschlafen. Sie dehydrieren. Sie verbrennen und im schlimmsten Fall versterben sie.”
Janette Werner kümmert sich um die Obdachlosen im Berliner Stadtteil Schöneberg
Die Sozialarbeiter vor Ort beraten und unterstützen. “Wir merken: wenn die Leute kontinuierlich kommen, fangen sie oft an sich zu öffnen und fassen Vertrauen”, sagt Werner. Das Sommer-Pilotprojekt “Hitzehilfe” läuft bis Ende September. Dann wird der Sozialverband auswerten, welche Einrichtungen am meisten nachgefragt wurden.
“Wenn Sie jemanden sehen, sprechen Sie ihn an, ob es ihm gut geht, vor allem bei diesen Temperaturen,” lautet Werners Appell. “Wenn nicht, dann rufen Sie den Notarzt. Und denken Sie daran: über eine Flasche Wasser freut sich gerade jeder.”
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.