Sabine Schormanns – nicht ganz freiwilliger – Rücktritt als Generaldirektorin der documenta fifteen war fällig! Viel zu viel Zeit ist verstrichen, bis Konsequenzen aus dem Eklat um ein Kunstwerk mit antisemitischer Bildsprache gezogen wurden. Viel zu lange wurde geredet, versprochen, diskutiert, ohne dass etwas geschah. Bis jetzt.

Porträt von Sabine Schormann, die skeptisch drein schaut.

Zurückgetreten: documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann

Zu zögerlich ging die Aufarbeitung des Eklats voran, für den das Auftauchen des riesigen Wimmelbildes “People’s Justice” des Künstlerkollektivs Taring Padi zum documenta-Start Mitte Juni gesorgt hatte: Es zeigte einen Soldaten mit Schweinsgesicht und Davidstern auf dem Halstuch und der Aufschrift “Mossad” auf dem Helm. Erkennbar war ein Mann mit Kippa, Hut und Schläfenlocken, mit blutunterlaufen Augen, spitzen Zähnen und krummer Nase. Deutlicher kann man jüdische Menschen kaum verunglimpfen. Das Bild wurde verdeckt und schließlich abgehängt. Weiter geschah nichts.

Kunstwerke weiter unüberprüft

Eine öffentliche Podiumsdiskussion in Kassel brachte wenig Klärung. Die versprochene Überprüfung der verbliebenen Werke der documenta durch eine Expertenkommission kam bisher nicht zustande. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, der daran mitwirken sollte, gab sein Beratermandat entnervt zurück. Die Künstlerin Hito Steyerl ließ aus Protest eine Filmarbeit abbauen.

Erst vor wenigen Tagen – und damit reichlich spät – meldete sich Sabine Schormann mit einem halbherzigen Statement zu Wort. Schuldig blieb sie zweierlei: eine Erklärung dafür, wie es zum Aufhängen des umstrittenen Banners von Taring Padi überhaupt kommen konnte. Und die Antwort auf die Frage: Wer trägt dafür die Verantwortung? Vielleicht deshalb, weil die Antwort hätte lauten müssen: Sabine Schormann, documenta-Generaldirektorin. Oder war Schormann so naiv zu glauben, der Sturm würde schon vorüberziehen?

Wieder mal zeigt sich: Wer sich nicht bewegt, wird bewegt. Doch auch andere haben sich in der Angelegenheit nicht mit Ruhm bekleckert, allen voran der documenta-Aufsichtsrat mit Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) an der Spitze, und seiner Stellvertreterin, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Bündnis 90/Die Grünen). Zwar haben beide früh jeglichen Antisemitismus verurteilt. Doch gehandelt haben sie erst heute, vier Wochen nach Beginn der Weltkunstschau und Sichtbarwerden des Eklats.

Auch andere nicht mit Ruhm bekleckert

Ihre Trennung von documenta-Chefin Schormann kommt spät, zu spät. Dass die Präsentation des Banners mit antisemitischer Bildsprache, wie sie argumentieren, eine “Grenzüberschreitung” war und der documenta “erheblichen Schaden” zufügte, klingt längst überholt. Den Scherbenhaufen documenta haben schon ganz andere beklagt. Ob Geselle und Dorn damit Schaden von sich selbst werden abwenden können? Wer weiß!

Autor DW Stefan Dege Porträt

DW-Kulturredakteur Stefan Dege

Im havarierten Boot sitzt auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth, deren Kulturstiftung im fernen Berlin zu den großen Geldgebern der Kasseler documenta zählt. Erst vor zwei Tagen wurde sie deutlich und distanzierte sich klar von der documenta-Leitung. Roth hätte ihren Einfluss viel früher nutzen müssen, damit die Aufarbeitung des Antisemitismus-Eklats endlich beginnt.

Und was wird jetzt aus der documenta? Der Schau bleiben noch zwei Monate. Ein Interims-Geschäftsführer soll Schormanns Aufgaben übernehmen. Wer immer den Job macht, er oder sie muss den Dschungel aus kuratorischen und organisatorischen Verantwortlichkeiten schnell lichten, die Kunst vom Verdacht des Antisemitismus befreien und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Schön wäre es, wenn bei der documenta in Kassel dann endlich wieder die Kunst spricht.