Neil Young, Joni Mitchell, India Arie und andere Popstars haben ihre Musik bis auf wenige Titel vom Streamingdienst Spotify zurückgezogen. Es ist ihr gutes Recht zu verhindern, dass ihre Musik auf einer Plattform läuft, wo neben ihnen auch Corona-Leugner ihr Unwesen treiben. Der US-Entertainer Joe Rogan, der wegen seiner Haltung zur Corona-Impfung kritisiert wird, ist der meistgehörte Podcaster auf Spotify. Seine Anti-Impf-Ideologie erreicht sehr viele Menschen weltweit. Klar, dass sich die Frage aufdrängt, wie es sein kann, dass dieser Mensch ungehindert solche Dinge verbreiten kann.
Ganz einfach: Weil er es kann. Genauso wie viele andere es können. Knapp drei Millionen Podcasts gibt es auf Netflix, 70.000 allein in Deutschland. Die haben in der Regel mehrere Folgen. Zählt man also alles zusammen, ergibt das eine unfassbare Zahl an Audioangeboten – zusätzlich zur Musik.
Spotify nimmt alles, was kommt
Podcasts hochzuladen, ist ganz einfach und für alle möglich. Wenn ich einen Podcast produziert habe, bringe ich ihn über eine sogenannte Aggregator-Webseite auf Spotify unter. Der Streaminganbieter nimmt quasi alles, was da kommt, ohne sich um den Inhalt zu kümmern.
DW-Redakteurin Silke Wünsch
Spotifys Richtlinien für Podcasts sind – gelinde gesagt – nicht sehr streng und öffnen allen Tür und Tor. Auch denjenigen, die gefährlichen Unsinn verbreiten wollen. “Spotify for Podcasters sollte nicht dazu verwendet werden, Songs, DJ-Mixes oder ähnliche musikalische Inhalte zu verbreiten.” Na, wenn’s weiter nichts ist…
Kein Wort davon, dass rassistische, beleidigende oder bewusst falsch dargestellte und schädigende Inhalte sofort gelöscht werden. Andere Plattformen sind da viel weiter.
Nicht auf dem Rücken der Bands
Es ist nicht die Aufgabe der Musikerinnen und Musiker, die Inhalte von Spotify zu kuratieren. Etwa acht Millionen Menschen tummeln sich auf Spotify, die Dateien hochladen. Ein vergleichsweise kleiner Teil davon ist wirklich prominent. Spotify ist eine wichtige Plattform für unbekannte Künstlerinnen und Künstler. Die wollen nichts verkaufen – der Verdienst pro Stream geht gegen Null – die wollen gehört werden.
Spotify stellt mit Hilfe eines Algorithmus für jeden seiner inzwischen 180 Millionen Abonnenten Playlists zusammen, in denen immer wieder selten gehörte Lieder auftauchen. Das kann unbekannten Bands helfen, bekannter zu werden.
Neil Youngs Initiative kann kleine Musik-Acts in einen Zwiespalt bringen: Mache ich mich jetzt mit Corona-Leugnern gemein, wenn ich meine Musik auf Spotify stehen lasse? Soll ich mir ein Beispiel an den Stars nehmen und die populäre Plattform verlassen? Diese so praktische Möglichkeit, meine Musik zu promoten?
Spotify muss umdenken
Neil Young und Joni Mitchell tun Spotify nur ein bisschen weh, wenn sie gehen. Ihre Hörerschaft macht nur einen kleinen Teil der Spotify-Nutzer aus. Bei Superstars wie Justin Bieber (der knapp 30 Mal so viele monatliche Hörer hat wie Joni Mitchell), Adele oder Ed Sheeran sähe das anders aus. Deren Weggang von der Plattform würde Spotify immens schaden und damit auch unzähligen jungen Nachwuchstalenten.
Justin Bieber ist die Nummer Eins auf Spotify mit 89 Millionen monatlichen Hörerinnen und Hörern
Bevor das aber passiert und Millionen Fans zusammen mit ihren Idolen abwandern, sollte Spotify dafür sorgen, dass Inhalte nicht ungefiltert auf der Plattform landen und diese zu einer Spielwiese für Spinner und Schwurbler machen. Selbst wenn dann die Forderung nach freier Meinungsäußerung laut würde: Weder auf Facebook noch auf Twitter oder Instagram können Menschen posten, was sie wollen – und auch YouTube schaut ganz genau hin, was da hochgeladen wird. Auch Spotify hätte die Möglichkeit, Inhalte mit Hilfe von künstlicher Intelligenz vor der Veröffentlichung zu prüfen, indem gezielt nach sensiblen Wörtern gescannt wird. Dies einzuführen ist die wichtigste Aufgabe des Musikstreamers.
Funfact: Amazon Music wirbt gerade mit einer “Aktion Neil Young” um neue Abonnentinnen und Abonnenten. Auch Apple Music hat seine “Liebe zu Neil Young” entdeckt, und Deezer preist eine “100%-Neil-Young-Playlist” an. Aber wer weiß, was man sonst noch dort hört? Podcasts haben sie nämlich alle im Angebot.