Am Freitag hatte der “Nordbayerische Kurier” unter der Überschrift “Frauen im Festspielhaus begrapscht” von sexuellen Übergriffen auf Frauen berichtet, sowie von Beleidigungen, sexistischen Sprüchen und anzüglichen SMS-Nachrichten. Nun laufen die Ermittlungen gegen Unbekannt. Eine Strafanzeige liege bislang nicht vor, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Bayreuth am Mittwoch.

Der Sprecher der Bayreuther Festspiele, Hubertus Herrmann, sagte gegenüber der DW: “Wir stimmen den Forderungen nach lückenloser Aufklärung ausdrücklich zu. Wir erfuhren erst durch den Artikel von den im Raum stehenden Vorwürfen und waren fassungslos. Es wurden umgehend alle Mitwirkenden von diesem Artikel in Kenntnis gesetzt. Bislang handelt es sich um Behauptungen, sollten sich diese bewahrheiten werden selbstverständlich umgehend juristische Konsequenzen folgen.”

Festspielleiterin Katharina Wagner selbst betroffen

Katharina Wagner blickt in die Kamera

Katharina Wagner, Intendantin der Bayreuther Festspiele will für Aufklärung sorgen

Auch Festspielchefin Katharina Wagner selbst war von Sexismus betroffen. Sie sei an der Brust berührt worden, hieß es im “Nordbayerischen Kurier”. “Mich betrifft das nicht unbedingt als Festspielleiterin, aber es betrifft mich auch als Regisseurin und Privatperson”, sagte sie in einer Pressekonferenz vor Beginn der Festspiele.

“Ich bin allerdings in keinem Abhängigkeitsverhältnis. Ich habe mich auch gewehrt und zwar sehr deutlich.” Katharina Wagner appellierte noch einmal an alle betroffenen Mitarbeiterinnen, den Mut zu finden, sich mit Beschwerden an sie zu wenden. Alle Fälle würden streng vertraulich behandelt.

Vorwürfe gegen Dirigent Christian Thielemann

Unabhängig von den sexuellen Übergriffen waren auch Vorwürfe gegen den früheren Musikdirektor und Dirigenten Christian Thielemann wegen despektierlicher Äußerungen gegenüber Musikerinnen bekannt geworden. In diesem Jahr dirigiert Thielemann Wagners Oper “Lohengrin”. In einem internen Schreiben soll sich der Dirigent beschwert haben, dass gleich zwei Frauen an den Kontrabässen im Orchester säßen. Statt zwei Bassistinnen hätte er lieber auch eine männliche Besetzung gehabt, heißt es.

Angela Merkel und Markus Söder mit Anhang bei der Premiere

Erfolgreiche Premiere von “Tristan und Isolde”: Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Ehemann Joachim Sauer (r) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mit Ehefrau

“Keine der Damen wurde von mir ausgetauscht, beide sind natürlich hervorragende Musikerinnen”, beteuerte Katharina Wagner.  Auch Thielemann habe inzwischen sein “Störgefühl” wegen der unbekannten Gesichter überwunden. “Beide Damen haben mir gesagt, sie fühlten sich sehr gut behandelt von Christian Thielemann und das hat mir auch der Orchesterrat bestätigt”, sagte der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Georg von Waldenfels.

Bei den Festspielen gab es aber nicht nur Beschwerden gegen Sexismus, sondern auch gegen den Umgangston bei den Produktionen. “Wir behandeln diese Themen täglich”, sagt Katherina Wagner die schon einige Gespräche mit betroffenen Parteien geführt hat. “Wir sind hochgradig daran interessiert, solche Fälle auch mit der nötigen Härte konsequent aufzuklären.” 

Claudia Roth: “Sexuelle Übergriffe dürfen nicht ungeahndet bleiben”

Claudia Roth schüttelt Hände in prachtvoller Kulisse

Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei der Eröffnung der Richard-Wagner-Festspiele im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel

Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen betonte, dass man die Vorwürfe und Berichte über Sexismus bei den Bayreuther Festspielen ernst nehmen müsse. “Ich gehe davon aus, dass die Leitung der Bayreuther Festspiele den Vorgängen mit Nachdruck nachgehen und die notwendigen Konsequenzen ziehen wird. Sexuelle Übergriffe, egal ob verbal oder körperlich, sind absolut inakzeptabel und dürfen nicht ungeahndet bleiben”, teilte Roth bereits am Freitag (22. Juli) in Berlin mit. 

Der Bund ist Gesellschafter der Bayreuther Festspiele, ebenso wie das Land Bayern. Der bayerische Kunstminister Markus Blume von der CSU teilte mit, er erwarte eine umgehende und schonungslose Aufklärung: “Für Sexismus gilt: Das hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen. Hier muss Null Toleranz gelten.”

Sexismus gehört in Deutschland zum Alltag

Dass Frauen auch bei einem der wichtigsten Musikfestivals Europas sexistische Erfahrungen machen könnten, deckt sich mit Untersuchungen zu Sexismus im Alltag. 41 Prozent der Frauen, die Sexismus bei sich und anderen erfahren, erlebten diesen am Arbeitsplatz. Nur öffentliche Plätze sind mit 46 Prozent noch häufiger vertreten. Das fand eine Pilotstudie zu Sexismus im Alltag im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2018 heraus.

Täter-Opfer-Umkehr 

Beinahe die Hälfte aller Frauen erlebt Sexismus im Alltag, nämlich rund 44 Prozent. Dunkelziffer inklusive, schreiben die Studienautoren – viele sexistische Ereignisse seien inzwischen so alltäglich, dass sie von den Betroffenen nicht einmal mehr als frauenfeindlich wahrgenommen würden, zum Beispiel die ungewollte Zusendung von sogenannten “dick pics”, also Fotos vom nackten Geschlechtsorgan eines Mannes.

Bühnenszene aus Tristan und Isolde 2022 mit Catherine Foster

Starke Frau mit starker Stimme in Bayreuth: Catherine Foster in Richard Wagners “Tristan und Isolde”

Hinzu kommt laut der Studie, dass gerade diejenigen Männer, die zu den gesellschaftlich “Etablierten” zählen – also in hohen Führungspositionen bei großen Konzernen, Verbänden oder in der Verwaltung arbeiten, BWL, Medizin, Jura oder Ingenieurswissenschaft studiert haben – Sexismus nicht für ein gesellschaftlich relevantes Phänomen halten. Stattdessen glaubten diese Männer, so die Pilotstudie, dass Sexismus eine Phantomdebatte sei und Männer von Frauen diskriminiert würden, nicht umgekehrt. Wenn gegrapscht oder Frauen angegriffen würden, dann vor allen Dingen von Männern aus der “Unterschicht” oder “anderen Kulturkreisen”.

Die Studienautorinnen und -autoren bescheinigten diesen Männern “Unbehagen und Missbilligung, dass der öffentliche Diskurs weiblich dominiert ist, dass Männer nicht primär produktiv schaffende Leistungsträger sind (Helden der Moderne, des Fortschritts, der Lösungen), sondern im Licht unmoralischer Taten thematisiert werden.”

Prävention bei den Bayreuther Festspielen

Geschäftsführer Ulrich Jagels betonte gegenüber der Presse, dass in Bayreuth auch das Thema Prävention behandelt werde. Egal, ob es um sexistische Äußerungen, sexuelle Übergriffe oder einen unangemessenen Umgangston gehe. “Wir müssen den Leuten zunächst einmal klar machen, dass die Sensibilität auf Verstöße auf diesen wertebasierten Verhaltenskodex hoch ist. Das ist dann ein klares Signal an alle Mitarbeitenden der Festspiele.” 

Die Bayreuther Festspiele sind am 25. Juli gestartet. In diesem Jahr werden so viele Opern aufgeführt wie nie zuvor. Im letzten Jahre standen sie ganz im Zeichen starker Frauen.

 

Dieser Artikel vom 22.07.22 wurde zuletzt am 27.07.22 aktualisiert.