An der Frage, welches der großen europäischen Filmfestivals denn nun das wichtigste ist, scheiden sich die Geister. Unstrittig ist dagegen, dass die Kulisse von Cannes im Mai mehr zu bieten hat als das triste Berlin im kalten Februar. Und weil das Posieren unter Palmen bei milden Temperaturen leichter fällt, ist die Gästeliste der 76. Filmfestspiele von Cannes (16. bis 27. Mai) prominent besetzt.
Johnny Depp spielt im Eröffnungsfilm “Jeanne du Barry” König Ludwig XV., der sich von einer jungen Aristokratin aus armen Verhältnissen angezogen fühlt und sie zu seiner letzten Mätresse macht.
Johnny Depp eröffnet das Festival als französischer König Ludwig XV. in “Jeanne du Barry”
Die weibliche Hauptrolle spielt die französische Schauspielerin Maïwenn, die auch das Drehbuch verfasste und Regie führte. Für Depp wird Cannes der erste filmische Auftritt nach dem öffentlichkeitswirksamen Prozess zwischen ihm und seiner Ex-Ehefrau Amber Heard sein, weshalb mancherorts von einem “Comeback” zu lesen war.
“Jeanne du Barry” läuft in Cannes außer Konkurrenz, geht also ebenso wenig ins Rennen um die Goldene Palme wie der neueste Teil der Indy-Saga, “Indiana Jones und das Rad des Schicksals”, oder Martin Scorseses dreieinhalbstündiges Werk “Killers of the Flower Moon” über eine Mordserie in einem Indianerreservat in den 1920er-Jahren.
Letztes Abenteuer für Indy
Der 80-jährige Harrison Ford stürzt sich in der Rolle des Archäologen Dr. Henry Walton – genannt Indiana – Jones Jr. in sein letztes Abenteuer. Nachdem die zwischen 1981 und 1989 erschienende Trilogie 2008 um einen gemeinhin als enttäuschend bewerteten vierten Teil ergänzt wurde, ist die Erwartungshaltung an eine würdige Verabschiedung in den Ruhestand recht hoch.
Scorsese vertraut derweil neben dem frisch gekürten Oscar-Preisträger Brendan Fraser auf alte Bekannte: Mit Leonardo DiCaprio arbeitete der Regisseur für “Killers of the Flower Moon” zum sechsten, mit Robert De Niro gar zum zehnten Mal zusammen.
Auch im Wettbewerb ist Hollywood vertreten: Natalie Portman und Julianne Moore spielen in Todd Haynes’ “May December”, Scarlett Johansson in Wes Andersons Science-Fiction-Film “Asteroid City”. Im Wettbewerb zu sehen ist auch Sandra Hüller (“Toni Erdmann”), die in Jonathan Glazers Holocaust-Drama “The Zone of Interest” spielt.
Von den 21 Beiträgen im Wettbewerb stammen zwar nur sechs von Regisseurinnen, trotzdem bedeutet das einen neuen Rekord bei der Anzahl an Frauen in Cannes. Unter ihnen ist mit Ramata-Toulaye Sy auch eine Spielfilm-Debütantin, die ihr Beziehungsdrama “Banel & Adama” mit Laiendarstellerinnen und -darstellern besetzte.
Wim Wenders zeigt gleich zwei Filme
Bereits zum zehnten Mal im Wettbewerb vertreten, ist der deutsche Regisseur Wim Wenders. Der Cannes-Gewinner von 1984 stellt seinen Film “Perfect Days” vor, der von einem Toilettenreiniger in Tokio erzählt. Mit der 3D-Doku “Anselm – Das Rauschen der Zeit” über den deutschen Maler Anselm Kiefer feiert ein weiteres Werk von Wenders – außerhalb des Wettbewerbs – in Cannes seine Weltpremiere.
“Goodbye Julia” verhandelt den Konflikt zwischen dem Nord- und Südsudan
Mit “Goodbye Julia” von Mohamed Kordofani ist zum ersten Mal ein Film aus dem Sudan im Festivalprogramm von Cannes vertreten. Der Film erzählt von Mona, die im Nordsudan lebt und von Schuldgefühlen geplagt ist, nachdem sie einen Mord vertuscht hat. Um ihre Schuld aufzuwiegen, nimmt sie die südsudanesische Witwe Julia und ihren Sohn Daniel bei sich auf.
Mit dieser Geschichte steuert “Goodbye Julia” auf den im Film noch bevorstehenden Konflikt im Sudan zu. Der Beitrag läuft in der Sektion “Un certain regard”, die Filme mit ungewöhnlichen Stilen und Geschichten vorstellt.