Der Brite Richard Hamilton ist weitaus weniger bekannt als seine US-amerikanischen Kollegen Andy Warhol oder James Rosenquist. Vielleicht liegt das daran, dass er zu früh dran war. Noch bevor in den USA Künstler den Bilderschatz der populären Kultur, die Fotografie, den Film und die Werbung für ihre Zwecke ausschlachteteten, arbeitete in Großbritannien Richard Hamilton als junger Bilderstürmer daran, die hohe Kunst von ihrem angestammten Sockel zu holen und die Techniken der Massenproduktion in die Malerei einzuführen.
Tate Modern in London zeigte 2014 eine große Retrospektive von Richard Hamilton
Nachdem er in London verschiedene Kunstschulen besucht hatte, startete Hamilton Anfang der 1950er-Jahre seine Karriere als britischer Pop-Art-Künstler. Damals war Hamilton einer der führenden Köpfe der Intellektuellen- und Künstler-Bewegung “Independent Group”. Sie beschäftigte sich erstmals mit Phänomenen wie Werbung, Film oder Boulevardmagazinen.
Hamilton wollte nicht “Vater der Pop-Art” heißen
Als ich ihn vor zwanzig Jahren während einer Ausstellung im Kölner Museum Ludwig dazu befragte, erinnerte er sich folgendermaßen an diese Zeit. “In den 1956er- bis 1957er-Jahren habe ich angefangen, mir darüber Gedanken zu machen, warum sich die Künstler mit Dingen beschäftigen, die mit ihrem Alltag überhaupt nichts zu tun haben. Wir alle gingen damals mindestens dreimal die Woche ins Kino.
Doch die meisten kehrten in ihr Atelier zurück und malten monochrome oder abstrakte Bilder. Deshalb habe ich ein Programm aufgestellt, in dem ich alles niedergeschrieben habe, was mir für eine zeitgemäße Kunst wichtig schien. Eine Art Manifest, von dem ich hoffte, dass es auch meine Kollegen interessieren würde – was allerdings nicht der Fall war.” So ist das wohl, wenn die Zeit noch nicht reif ist. Doch Hamilton, der über die Werbung zur Kunst fand, ließ sich nicht beirren.
Hamilton schuf erstes Pop-Art-Werk
Die erste künstlerische Umsetzung dieses Manifests war die Installation “Spaß-Haus”, die Hamilton 1956 für die Londoner Ausstellung “This is tomorrow” entwarf. Der Besucher zwängt sich durch einen engen Gang vorbei an Pin-Up-Bildern, Hunderten von Anzeigen, Filmplakaten und drehenden Farb-Scheiben. Aus einer Juke-Box plärren abwechselnd Elvis Presley und Little Richard. Am Ende darf der Besucher aktiv werden und in ein Mikrofon sprechen. “Mit den Dingen, die ich im Spaß-Haus ausstellte, versuchte ich das Lebensgefühl der jungen Leute wiederzugeben. Musik, Science Fiction-Filme, Dinge. Damit stand ich ziemlich allein in der Ausstellung da. Alle anderen warfen eher einen Blick zurück als in die Zukunft. Aber gerade mein Beitrag sorgte für Furore.”
Gemälde “Lobby” (1985-1987) von Richard Hamilton
Solch eine begehbare Installation zählt allerdings zu den Ausnahmen in Hamiltons Werk. In den 1960er-Jahren konzentriert sich der am 24. Februar 1922 in London geborene und 13. September 2011 ebendort verstorbene Künstler darauf, die Fotografie als Basis seiner Arbeit zu verwenden. Das Ergebnis sind post-dadaistische Text-Foto-Collagen, Vexier-Bilder, in denen Kotflügel auch als Brüste oder Silberfolien als männliche Geschlechtsteile lesbar sind. In das Bild “Badende” klebt er eine pinkfarbene Bademütze und den geblümten Stoff eines Badeanzugs. Im Werbeschild der französischen Alkoholflasche der Marke Ricard fügt er ein H ein und tauft es kurzerhand in Richard, seinen Vornamen, um. Das Readymade eines Tisch-Ofens bläst er zu einem kolorierten Foto-Stilleben auf.
Hamiltons Vorbilder: Marcel Duchamp und James Joyce
Neben dem Dadaisten Marcel Duchamp war der irische Autor James Joyce und sein eigenwilliger Mammutroman Ulysses ein wichtiges Vorbild für Hamilton. Seine Vorliebe für diese als besonders komplex geltende Literatur begründete der Künstler: “Das habe ich noch in keinem anderen Buch erlebt: Joyce vereint in einem Kapitel die gesamte englische Literaturgeschichte: Shakespeare, Pope, Milton. Für mich war das die Herausforderung, ganz unterschiedliche Techniken und, Qualitäten in einem Bild zusammenzubringen. Jedes Bild sollte ein eigenes System sein, eine Anhäufung von Ideen.” Dabei dekliniert Hamilton haarklein die Gattungen der Malerei durch: Landschaft, Interieur, Stillleben Porträt.
Hommage an die legendäre Ausstellung “This is Tomorrow”, deren Werke in der Tate Modern zu sehen waren im Jahr 2014
Jedes Motiv, jeder Bildtypus wird einmal grundlegend erarbeitet und auf verschiedenste Arten verfremdet. Hamilton arbeitete sich durch die Gattungen – und hakte eine nach der anderen ab, um herauszufinden, mit welcher Technik, sich künstlerische Probleme am besten bearbeiten ließen. Diese Vorgehensweise unterschied Hamilton auch von seinen amerikanischen Kollegen. Denn anders als Andy Warhol, James Rosenquist oder Roy Lichtenstein ist Hamilton kein Propagandist, sondern vielmehr ein analytischer Kommentator der Pop-Kultur. Bis heute gilt er in der Kunstszene als Wegbereiter der Pop Art und seine Werke sind ein Vorbild für zahlreiche junge Künstlerinnen und Künstler. Am 24. Februar wäre er 100 Jahre alt geworden.