Rotes Licht beherrscht die Bühne, in riesigen Lettern wird Bonn begrüßt. Dann erscheint die bange Frage “Am I still your son?” – und der Satz “I want to contact the living” erweckt den Anschein als wolle Robbie Williams nach all den Jahren wissen, ob die Leute ihn noch gerne haben, ob da draußen außerhalb seines Universums noch Menschen sind.

Spätestens mit seinen ersten Schritten auf die Bühne wird er gemerkt haben: Ja, er ist noch unser Sohn, und ja, hier sind Menschen, sehr viele sogar, und wir sind alle da, um ihn zu sehen. Und dann beginnt “Robbie” – wie sollte es anders sein – mit “Let Me Entertain You”. Schon nach den ersten Takten merken alle: Das kann ein richtig guter Abend werden. Auf der Bühne ist ordentlich was los, dafür sorgen jede Menge Musiker und Backgroundsängerinnen sowie die Tänzerinnen, die gut gelaunt über die Bühne springen. Robbie mittendrin ist der Zeremonienmeister – mit großen Gesten und ausdrucksvoller Mimik. Er sei ein Entertainer und er werde entertainen, betont er anfangs noch mehrmals – braucht er aber nicht, denn alle 25.000 hier in Bonn sehen: Dieser Mann hat noch richtig Bock.

Kurz hinterm Schlagzeug erbrochen

Drei Tage zuvor hatte Robbie Williams in München vor 90.000 Fans gespielt. Während einer Ballade musste er sich hinter der Bühne übergeben – es waren wohl zu viele Nikotinkaugummis im Spiel gewesen, hieß es. Mehr Ärger verursachte allerdings der Konzertveranstalter, der einigen Pressevertretern die Akkreditierung entzogen hatte, weil sie sich im Vorfeld kritisch über ein anderes gigantisches Open Air-Konzert desselben Veranstalters geäußert hatten.

Auf einer riesigen Videoleinwand ist Robbie Williams' Gesicht zu sehen, er singt mit weit geöffneten Augen in ein Mikrofon, im Vordergrund stehen die Musiker im Schatten.

Service für die hinteren Reihen: Robbie auf dem Videoscreen

Die Kritik in München wäre nicht unberechtigt gewesen – von den 90.000 im Publikum hat sicher ein gutes Drittel so wenig vom Konzert gesehen, dass Robbie sich zu der Bemerkung hinreißen ließ, er könne sein Geschlechtsteil auf der Bühne auspacken und hinten würde es keiner sehen.

Witze und Kuscheleinheiten

Auf solcherlei Scherze verzichtete der Popstar an diesem Abend in Bonn – mit 25.000 Menschen war es ein vergleichsweise kuscheliges Konzert. Gekuschelt wurde tatsächlich – mit Geburtstagskind Anna, die von Robbie auf die Bühne gebeten wurde. Zu zweit saßen sie auf einem Sofa, es gab ein “Happy Birthday”-Ständchen, darauf folgte die Liebesschnulze “Somethin’ Stupid” – diesen Geburtstag wird Anna nicht vergessen.

Eine weitere Kuscheleinheit gab es auch mit Guy Chambers – Robbies Sozius auf den ersten Erfolgs-Alben, mit dem er sich eine Zeit lang überworfen hatte, der jetzt aber wieder mit im Boot ist. Sie ließen es sich nicht nehmen, zusammen auf dem Steg, der ins Publikum ragte, die Ballade “Eternity” zu spielen, von der Robbie nach dem Ende des Songs fast erstaunt sagte, wie schön sie sei – als habe er sie gerade erst wieder entdeckt.

Robbie Williams posiert, Tänzerinnen und Sängerinnen um ihn herum, im Hintergrund ein Mann an einem Keyboard.

Die Tänzerinnen hatten Spaß mit Robbie, im Hintergrund am Keyboard ist Guy Chambers zu sehen

Und dann verriet er, dass er vor 21 Jahren der Stadt Bonn einen Song gewidmet habe und stimmte den Refrain von “Road to Mandalay” an. Statt “Bam Bam Bam” sang er “Bonn Bonn Bonn” – ein Kalauer, der dem Publikum gut gefiel.

Robbie und sein “Monkey”

1997 – ein Jahr nachdem sich seine Boyband “Take That” aufgelöst hatte – startete Robbie Williams seine Karriere als Solosänger. Das Debüt-Album “Life Thru A Lens” enthielt die Ballade “Angels” – und die katapultierte ihn in den viel beschworenen Pop-Olymp. Er wurde einer der erfolgreichsten britischen Popsänger mit knapp 80 Millionen verkauften Alben und 14 Nummer-Eins-Hits.

Er ging durch Himmel und Hölle, seine Drogen- und Alkoholsucht wurde aufmerksam von der britischen Regenbogenpresse verfolgt und dokumentiert. Mit seinen Suchtproblemen geht er bis heute offensiv um, er sagt deutlich, dass er trockener Alkoholiker ist und an mehreren psychischen Störungen leidet. Sein Drogenproblem machte er schon 2002 in seinem Song “Me And My Monkey” zum Thema. Damals war er auf dem Höhepunkt seiner Solokarriere und hatte mit dem Album “Swing When Your’e Winning” bereits gezeigt, dass er das Zeug zu einem Entertainer wie Frank Sinatra hat – auch wenn er damals noch keine 30 Jahre alt war. Inzwischen ist er 48, seit 2010 mit der Schauspielerin Ayda Field verheiratet und hat vier Kinder.

Neues Album im September

Am 9. September erscheint Robbie Williams’ neue Platte “XXV” – mit diesem Greatest Hits-Album blickt er auf seine 25-jährige Solokarriere zurück. In neuen Orchester-Arrangements gibt es Klassiker wie “Let Me Entertain You”, “Millenium”, “No Regrets”,”Kids” (das Duett mit Kylie Minogue), “Rock DJ”, “The Road To Mandalay”, “Feel”, “Come Undone” und natürlich “Angels”.

Robbie Williams verzieht das Gesicht.

Robbie spart nicht mit Mimik

Neue Songs sind auch drauf, einen gab er auch an diesem Abend in Bonn zum Besten: “Lost” – eine solide Popnummer, wie man sie von ihm erwartet – live ist sie mitreißender als aus der Konserve.

Granate mit kleinen Abstrichen

Mitreißend war der ganze Abend ohnehin – Robbie kann es wirklich noch und liefert ordentlich ab, Hit für Hit. Seine Show ist bunt, dynamisch, abwechslungsreich. Er scheint sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, weiß, dass er mit fast 50 nicht mehr ganz so knackig wie zu seinen besten Zeiten ist, feiert dennoch nach wie vor sein Hinterteil. Er stolziert im ärmellosen Shirt über die Bühne, zeigt jede Mange Tattoos und trägt fast übertrieben große Ketten, wie ein HipHopper aus den 90ern.

In seinen Ansagen schwingt stets eine Portion Selbstironie mit, aber auch eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass er immer noch – und gerade nach der Coronazeit – auf der Bühne stehen kann und ja, dass er immer noch “unser Sohn” ist.

Sein Gesang hat ein wenig nachgelassen. Manchmal wirkt seine Stimme brüchig, er trifft nicht immer jeden Ton. Die Nummer “Tripping”, die er vor 17 Jahren komplett im Falsett aufgenommen hat, ist in Bonn etwas unglücklich ausgefallen.

Genau das, was das Publikum wollte

Robbie Williams mit großer Geste (weit ausgestreckten Armen) auf der Bühne.

Große Geste, großer Auftritt: Robbie Williams, hier in München

Diese kleinen Defizite trüben den Gesamteindruck des Abends kaum bis gar nicht. Robbie Williams ist ein Profi, ein Entertainer, der weiß, wie man sein Publikum, das mit ihm älter geworden ist, bedient. Natürlich entlässt er die 25.000 mit dem Lied, mit dem seine Karriere vor 25 Jahren begonnen hat: “Angels”. Und dieses Lied hört man noch lange durch die laue Bonner Spätsommernacht schallen, gesungen von beseelten Fans, die genau das bekommen haben, was sie sich von diesem Abend erhofft haben: ihren Robbie.