Bei jedem Schritt gibt der von Moosen und Flechten überwucherte Boden etwas nach. Es fühlt sich federnd an, fast wie auf einem Trampolin. Evelyn Slevin, Mitarbeiterin des Regierungsprogramms “The Living Bog”, zu Deutsch “Das lebende Moor” demonstriert den Grund dafür: Sie läuft ein paar Schritte auf der Stelle, und schon spritzt Wasser unter ihren Wanderschuhen hervor. Das Moor ist ein riesiger Wasserspeicher, der sich bei jedem Regenguss, wie es sie in Irland häufiger gibt, vollsaugt wie ein Schwamm.

Das Carrownagappul-Moor in der westirischen Grafschaft Galway ist eines von fast 900 Feuchtgebieten in Irland und Nordirland, die als besonders schutzwürdig gelten. Es ist ein sogenanntes “raised bog”, der englische Begriff erklärt es besser als die deutsche Bezeichnung Hochmoor, denn seit der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren ist es tatsächlich empor gewachsen, mit einer kuppelförmigen Anhöhe zur Mitte hin.

Mit Erdhäufchen gegen das Wasser

Paul Connaughton erinnert sich noch daran, wie das Moor in seiner Kindheit den Blick auf die Wälder und Höfe dahinter verdeckte. Doch über die Jahre wurde die Kuppel immer kleiner: Die Anwohner rund um Carrownagappul zogen Gräben, damit das Regenwasser schneller abfloss, und stachen Torfschicht um Torfschicht, um die heimischen Öfen damit zu heizen.

Paul Connaughton steht im Carrownagappul-Moor in Irland

Paul Connaughton kennt das Carrownagappul-Moor schon seit Kindertagen

Connaughton ist jetzt 77, als Siebenjähriger hat er das erste Mal Torf gestochen – und seitdem jedes Jahr. “Hier standen einmal 20 Leute und stachen Torf. Und jetzt sieht das Moor wieder so aus, als sei seit hundert Jahren niemand darauf gewesen”, sagt Connaughton, als er über die weite Fläche blickt.

Das liegt an dem Renaturierungsprogramm, das in Carrownagappul bereits abgeschlossen ist. Entscheidenden Anteil daran haben die vielen kleinen Erdhäufchen, die man erst bei genauerem Hinsehen erkennt: An mehreren tausend Stellen haben Bagger ein Stück Erdreich entnommen und als Stopfen in die Entwässerungskanäle abgelegt. “Das hat den Wasserfluss gestoppt”, sagt Connaughton, “und wenn man das meilenweit immer wieder macht, dann wird das Moor mit der Zeit wieder höher.”

Mechanische Barriere in einem renaturierten Moor in Irland

Mechanische Barrieren verhindern an den Rändern des Moors, dass zu viel Wasser abfließen kann

45 Kilometer Entwässerungskanäle wurden so ganz oder teilweise verstopft. An den Rändern des Moors, wo mehr Wasser abfließt, wurden Barrieren aus Plastik oder Metall verwendet.

Kaputte Moore – ein riesiges CO2-Problem

Je nach Wassermenge können Moore gut oder schlecht fürs Klima sein.Werden Moose und andere Pflanzen vom Gewicht der höher liegenden Schichten unter Wasser gedrückt, verwandeln sie sich in der sauren Umgebung allmählich zu Torf, statt zu vermodern.

Die Moor der Welt speichern so geschätzt doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder- und das, obwohl sie nur drei Prozent der Landfläche ausmachen. Um an den Torf zu kommen, muss der Wasserspiegel abgesenkt werden. Und damit wird auch die natürliche Kompostierung wieder in Gang gesetzt, bei der Teile des pflanzlichen Kohlenstoffs in Form von Kohlendioxid, also CO2, in die Atmosphäre gelangen.

Blick auf eine weite, baumlose Moor-Landschaft in Irland

Endlosen Weiten: Intakte Moore speichern sehr viel CO2

Die Treibhausgasemissionen aus entwässerten Torfgebieten werden auf 1,3 Gigatonnen CO2 pro Jahr geschätzt – das entspricht knapp sechs Prozent der weltweit menschengemachten CO2-Emissionen und damit gut anderthalb Mal so viel, wie der gesamte Luftverkehr an CO2 verursacht.

Das wichtigste Argument für die Wiederherstellung der irischen Moore sei daher das CO2, sagt die auf Moore spezialisierte Biologin Florence Renou-Wilson vom University College Dublin. “Biodiversität ist zwar auch wichtig, und ich könnte viel über seltene Arten sprechen, aber das fundamentale Problem ist doch: Jeden Tag emittiert ein trockengelegtes Moor CO2 in die Atmosphäre. Wenn wir da einen Deckel draufmachen, wäre Irland seinen Klimazielen schon näher. Und die Biodiversität kommt dann von ganz alleine zurück.”

Irlands Abhängigkeit vom Torf

Über viele Jahrzehnte war der heimische Torf Irlands zentrale Energiequelle, die das Land von Energie-Importen unabhängiger machte. Noch immer werden in manchen Regionen 20 bis 25 Prozent der Privathaushalte mit Torf beheizt. Und obwohl der Heizwert sogar schlechter ist als der von Braunkohle, wurde Torf zur Stromerzeugung in Kraftwerken verbrannt. 2020 ging das letzte reine Torfkraftwerk vom Netz, ein weiteres wird bis 2023 auf Biomasse umgerüstet.

Lange wurde in Irland Torf maschinell und in großem Stil gestochen
Torfstreifen liegen zum Trocknen im Mountrivers Moor in Irland

Lange wurde in Irland Torf maschinell und in großem Stil gestochen

Ähnlich wie im Tagebau betrieb der halbstaatliche Energiekonzern Bord na Móna Torfabbau im industriellen Maßstab – in diesem Januar gab er den endgültigen Ausstieg aus dem Abbau bekannt. 33.000 Hektar Moor, die Bord na Móna mit schwerem Gerät in eine Mondlandschaft verwandelte, sollen nun mit Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU renaturiert werden.

Ende des Torfstechens eingeläutet

Allmählich wird auch privater Torfabbau gesetzlich reguliert. Bis 2020 gab es überhaupt keine staatliche Planung, wie viel Torf entnommen werden darf, sagt Renou-Wilson. “Die Gesetzgebung zu den Torfmooren war furchtbar, es war wie im Wilden Westen.” Nun schlage man ein neues Kapitel auf.

In Carrownagappul war am 7. Mai 2011 Schluss mit dem Torfstechen. Damals sei es fast zur Konfrontation gekommen, erinnert sich Paul Connaughton: Einige wären lieber ins Gefängnis gegangen, als den “sléan” niederzulegen, den speziellen Spaten mit einer rechtwinklig abstehenden Schiene, mit dem der Torf gestochen wird.

Ein Schild auf einer Wiese in Irland weist auf eine Torf-Verkaufsstelle hin

Über den privaten Torfabbau wurde in Irland lange gestritten

Connaughton sieht man an, dass er all die Jahre nicht nur Torfstecher war: Über seinen Gummistiefeln trägt er eine Anzughose mit Nadelstreifen und ein hellblaues Hemd. Bis 2011 saß er 30 Jahre lang für die Konservativen im Dáil, dem irischen Parlament. Wann immer es dort um Torf ging, verteidigte er die Torfstecher vehement gegen jede Umweltauflage. Doch letztendlich wurden die als Schutzgebiete ausgewiesenen Moore wie Carrownagappul auch gegen seine Stimme geschützt, und Connaughton fand sich am Verhandlungstisch wieder.

Die meisten Torfstecher akzeptierten das Angebot der Regierung: Ihnen wird der Ausstieg mit 1500 Euro jährlich über 15 Jahre vergütet. Connaughton und gut 30 andere nahmen das Alternativangebot an: Ihnen wurde eine weniger schützenswerte Ausweichfläche zugeschlagen, wo sie weiter Torf stechen können.

Das Moor nutzen – zur Erholung

Seine erwachsenen Söhne und Töchter hätten moderne Häuser mit Zentralheizung – “nur manchmal stibitzen sie ein paar Torfbriketts aus Vaters Schuppen, um ein Feuerchen anzuzünden”. Torf ist für viele Iren noch mit positiven Emotionen verbunden – aber in der modernen Gesellschaft nimmt er immer weniger Raum ein.

Während der Pandemie haben viele Anwohner das Moor auf neue Weise kennengelernt: als Naherholungsgebiet. Auch bei unserem Besuch dauert es nicht lange, bis man hier eine Joggerin sieht, dort eine Frau, die ihren Hund Gassi führt. Es sei wichtig, die lokale Bevölkerung mit an Bord zu holen, sagt Regierungsmitarbeiterin Evelyn Slevin. “Und es scheint geklappt zu haben.”

In den nächsten Monaten sollen in Carrownagappul Holzpflöcke ins Moor gerammt und Plankenwege darüber verlegt werden. Nach der Pandemie sollen auch Schulklassen hier etwas über das Moor lernen. “Wir sind jetzt auf einem guten Weg”, sagt Paul Connaughton. “Es wäre doch schade, wenn die Menschen nicht die Vorteile des Moors genießen könnten.”