Da ist so ein Flattern in der Magengrube, ein warmes Kribbeln. Unwillkürlich zeichnet sich ein Lächeln aufs Gesicht. Schon Johann Wolfgang von Goethe kannte es, und auch viele nachfolgenden Generation der Italophilen . Doch die schwärmen vor allem durch ihre zahlreichen Urlaubserfahrungen mit “gelati”, “mare” und viel “sole” – oder durch mediale Prägungen.
Die Deutschen sind verliebt – und das bereits seit fast zwei Jahrhunderten. Verliebtheit, nicht Liebe kennzeichnet die Beziehung der Deutschen zu Italien, denn es manifestieren sich deutlich die für Verliebtheit typischen kognitiven Verzerrungen: Einengung des Bewusstseins, positive Überhöhung, ausufernde Projektionen. Jüngstes Manifest dieser eingeschränkten Wahrnehmung des südlichen Quasi-Nachbarns (wer mit dem Zug mal per neuem Gotthardtunnel in Rekordzeit und pünktlich die Alpen durchfahren hat, weiß was gemeint ist) ist die Netflix-Serie “Summertime” (deutsch: “Drei Meter über dem Himmel”), die im Mai 2023 in die dritte und letzte Staffel geht.
Lebenslange Sommerliebe
“Summertime” ist ein einziges Manifest des deutschen (touristischen) Traumes von Italien, modern aufgelegt und kurzweilig erzählt. Sie spielt zur Sommersaison an einem Touristenort an der Romagna Riviera: gleißend helle Tage, funkelndes Meer, knappe Bikinis und genug Beton, um auch glaubwürdig zu sein. Die Protagonistin Summer (gespielt von Coco Rebecca Edogamhe) trägt einen Afro, fährt Longboard und hat dabei stets italienische Oldies im Ohr: Bruno Martino, Mina, Jimmy Fontana. So bleibt jede Generation angesprochen.
Sommerliebe: Summer und Ale in der Netflix-Serie “Drei Meter über dem Himmel”
Ihr abenteuerlustiger (Motorrad!) attraktiver ragazzo Ale (Ludovico Tersigni) ist ein Italiener, der irgendwie so ähnlich wirkt, wie der, mit dem gefühlt jedes deutsche Mädchen mit 13,15 oder 18 beim Italienurlaub mal geknutscht – oder ihn zumindest angehimmelt hat. Umringt von einer Clique von ausreichend charaktervollen jungen Menschen gelingt der Serie die erste Reifung des jungen Erwachsenseins wie auch die Irrungen und Wirrungen erster Verliebtheit und Liebeskummer überzeugend einzufangen. Und das alles inmitten des ewigen Sommertraums der Deutschen.
“Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?”
Dass solcherlei Settings auch im 21. Jahrhundert so gut ankommen, liegt nicht nur an den treuen Urlaubsvorlieben der Deutschen (Italien gehört seit Beginn der Messungen unter die Top 3-Destinationen). Das Schwärmen im italienischen Kontext hat eine lange Geschichte.
Als wegweisend erwiesen sich zwei Vehikel deutscher Projektionsbedürfnisse: Johann Wolfgang von Goethe und – die Ansichtskarte. Ersterer erfüllte erst sich selbst, dann seinen Mitmenschen einen Lebenstraum: eine Reise nach Italien. Die von Goethe dauerte von 1786 bis 1788, sein Reisebericht überdauerte die Jahrhunderte – und legte die Grundlage für die deutsche Sehnsucht nach Italien. Den Pflichten des Weimarer Hofes entkam der Dichter und erlebte inkognito – unter dem poetischen Namen Johann Philipp Möller – als Maler – Venedig, Rom, Neapel und Sizilien. Inklusive erotischer Abenteuer. Was für ein literarisch geadelter Eskapismus!
Riviera di Levante, um 1870
Sehnsuchtsorte
Unter weniger Literaturaffinen fanden die Sehnsuchtsorte Italiens ab den 1870er-Jahren über die Ansichtskarte Verbreitung. Zur Zeit widmet das Städel Museum in Frankfurt am Main den frühen Italien-Fotografien eine ganze Ausstellung. Noch vor der Ansichtskarte waren diese Fotografien ab Mitte des 19. Jahrhundert ein beliebtes Mitbringsel. Wie stark die damals geprägte Ikonographie nachwirkt, lässt sich unschwer in den Selfies von heute erkennen: Denkt man sich die Menschen weg, landet man oft vor einer ganz ähnlichen Szenerie.
Eine Neuauflage der deutschen Schwärmerei erfuhr Italien und insbesondere Venedig zweifelsohne durch Krimi-Autorinnen und Autoren. Donna Leons Reihe über den venezianischen Commissario Guido Brunetti wurde nicht nur zum Bestseller, alle Reihen wurden an Original-Schauplätzen mit deutschen Schauspielern auf Deutsch verfilmt.
Postkarte aus Venedig von 1875
Reality Check
Doch wie bei jeder Schwärmerei folgt irgendwann die Konfrontation mit der Realität. Für Goethe war es die zweite Reise, für die Generation Corona die Militärkonvois von Bergamo. Und für bereits mehrere Generationen der Italienschwärmenden immer wieder schockierende ewige Comeback von Rechts, zuletzt mit Giorgia Meloni – wahlweise auch in Kombination mit enhemmtem Machismo wie bei dem mehrfach (politisch) totgesagten aber immernoch aktiven Silvio Berlusconi.
Weniger verliebten Italien-Beobachterinnen und Beobachtern sind die Probleme des Landes – und den damit in Verbindung stehenden gesellschaftlichen Umbrüchen – schon lange deutlich. Die Lektüre von frühen und wegweisenden Büchern zum Thema Mafia (die erste literarische Behandlung in “Il giorno della civetta” von Leonardo Sciascia datiert auf 1961) oder Gleichberechtigung (“Volevo i pontaloni” von Lara Cardella 1989) oder über die auf Pump finanzierte italienische Schuldenpolitik der Siebziger und Achtzigerjahre kann hierbei Abhilfe schaffen.
Vor der eigenen Türe kehren, bitte
Die deutsche Verklärung Italiens lässt sich auch ganz gut über die Auseinandersetzungen mit italienischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern und ihren Familien ablesen. Pizzeria, Gelateria und Osteria gehören zwar auch in Deutschland zu den bekannten (und gut besuchten) Lokalitäten. Es war das erste Anwerbeabkommen, das Deutschland 1955 überhaupt schloss. Weitere sollten folgen, so mit Tunesien, Spanien, Griechenland und der Türkei.
Und wie es so schön heißt: Es sollten Arbeiter kommen, doch es kamen Menschen. Und die wurden nicht nur freundlich behandelt, wie in den letzten Jahren auch einige Spielfilme thematisiert haben. Selbst der deutsch-türkische Vorzeigeregisseur Fatih Akin versuchte sich 2002 bei dem Film “Solino” an der Einwanderungsgeschichte einer italienischen Familie (und einem Bruderzwist), bevor er mit “Gegen die Wand” 2004 berühmt wurde. Doch dann folgten TV-Schmonzetten wie “Bella Germania”, die 2019 in drei Teilen unter Beweis stellen, dass das deutsche Fernsehen, was Italien angeht, an verzerrter Wahrnehmung leidet. Oder einer allzu einseitigen, nämlich eines gönnerhaften Blicks von oben herab.
Der schiefe Turm von Pisa, aufgenommen 1855
Bella Italia?
Ist also nichts dran an der Projektion, der großen Kultur, Geschichte, der Verehrung der Landschaften Italiens? Wie in gereiften Partnerschaften zeigt sich die wahre Schönheit und der Reichtum eines Landes erst nach vielen Jahren des Kennenlernens, wenn die weichen Knie wieder fest, das Bauchflattern verschwunden ist. Dabei helfen könnte auch die Lektüre von Umberto Eco oder Francesca Milandri.
Wenn sich also – nach Jahren des Reibens an den unbequemen, ja auch hässlichen Seiten – die laute überschwängliche Leidenschaft (oder das, was Deutsche gerne als Italianità bezeichnen) eine gewisse Patina ansetzt, ein paar Falten hier und da sich zeigen – und trotzdem beim Besuch der Herzbereich warm wird und die Schritte schneller, dann könnte aus der Verliebtheit der Deutschen vielleicht doch noch die große Liebe werden.