Liliia Shutiak macht Kunst- und Kinderbücher über “schwierige Themen”, wie sie selbst sagt: den Tod, Diversity, marode Infrastruktur. Seit 2015 besteht der Verlag “The Black Sheep” (deutsch: “Das schwarze Schaf”) mit Sitz in Czernowitz im Südwesten der Ukraine, nur rund 40 Kilometer entfernt von der rumänischen Grenze. 

Viele Binnenflüchtlinge habe es laut Amnesty International aus dem Osten der Ukraine nach Czernowitz verschlagen, als der russische Angriffskrieg im Februar 2022 begann.

Eine Straßenszene in Czernowitz

In Czernowitz, das mit habsburgischer Architektur aufwarten kann, kommen viele Hilfslieferungen aus dem Westen an

Leseratten im Krieg

“The Black Sheep” reagierte, berichtet Shutiak der DW. 15.000 Bücher habe man an Flüchtlingskinder in der Ukraine und auch außerhalb des Landes gespendet, die fünf Mitarbeitenden leisteten anfangs vor allen Dingen humanitäre Hilfe.

Das Büchermachen wurde zunächst schwieriger, denn im ostukrainischen Charkiw, dem die russischen Invasoren schwere Zerstörungen zufügten, sind laut Shutiak viele Druckereien beheimatet.

Buchcover Himmel über Charkiw von Serhij Zhadan

Der ukrainische Autor Serhij Zhadan wird am Sonntag, den 23.10.2022 auf der Buchmesse mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt

Shutiak bringt aber auch gute Nachrichten mit zur Frankfurter Buchmesse: Der Verlag kann heute in Charkiw wieder drucken, und zu ihrer Überraschung kaufen die Ukrainerinnen und Ukrainer auch weiter Bücher, inmitten des Krieges.

Ukraine besorgt um abnehmendes internationales Interesse

Zu Beginn des Kriegs habe es weltweit ein großes Interesse an ukrainischer Literatur gegeben, berichtet Shutiak. Das ließe leider schon wieder nach. Umso wichtiger sei jetzt, auf Messen wie in Frankfurt Sichtbarkeit zu zeigen, zu reden, sich international auszutauschen.

“Black Sheep” verlegt Literatur auf Ukrainisch, insbesondere jetzt, weil sie die ukrainische Identität und ihre eigene Sprache stärken wollen. “Deswegen sind Kinderbücher so wichtig”, sagt sie der DW – um Kinder in der Ukraine früh an die Sprache heranzuführen, auch solche, die russischsprachig aufwachsen.

Selenskyj hält Videoansprache

Bei einer Videoansprache auf der Frankfurter Buchmesse am Donnerstag (20.10.2022) unterstrich auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, wie wichtig es sei, dass die Weltgemeinschaft weiter auf die Ukraine schaue. Er lud internationale Autorinnen und Autoren, Verlegerinnen und Verleger in sein Land ein, um Zeugnis über den Krieg abzulegen. 

Denn Information und Wissen seien im Kampf für Frieden und Freiheit unerlässlich, so Selenskyj. In Europa ermutigten viele Personen des öffentlichen Lebens nach wie vor dazu, Russland zu verstehen und die terroristische Politik von Staaten wie dem Iran zu ignorieren. “Wie kann das passieren?” fragte Selenskyj – und schlug selbst eine Antwort vor: “Die einzige Antwort ist ein Mangel an Wissen”. 

Unwissende Menschen seien leichter zu manipulieren. Deshalb sei es umso wichtiger, dass Menschen informiert seien “über den Terror, den Russland in die Ukraine gebracht hat”. Selenskyj rief die Branche dazu auf, Bücher zu schreiben, zu publizieren und zu vertreiben, “über diejenigen, die Europa schwächen”. Auf seine Rede reagierte das Publikum im prall gefüllten Messesaal mit Standing Ovations. 

Forderungen an die europäische Buchbranche

Im Anschluss an die Übertragung betrat Oleksandr Afonin das Podium in Frankfurt, Präsident des ukrainischen Verlags- und Buchhandelverbandes. Er rief zur Schaffung eines Kulturfonds auf, mit dem ukrainische Übersetzungen finanziert werden könnten. Außerdem könne das Geld Anschaffungen in ukrainischen Bibliotheken ermöglichen und ukrainische Verlage unterstützen, die unter dem russischen Angriffskrieg gelitten hätten. Afonin schlug bei seiner Rede in Frankfurt den Börsenverein des deutschen Buchhandels und den Europäischen Verlegerverband als mögliche Gründer eines solchen Fonds vor.

Blick auf Stuhllehnen, die mit Plakaten behängt sind, auf denen steht: Stand with Ukraine.

Am ukrainischen Stand auf der Frankfurter Buchmesse wird zur Solidarität mit der Ukraine aufgerufen

Scharf verurteilte Afonin in seiner Rede die russischen Verlage, die dieses Jahr nicht auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sind: Nicht ein einziges Verlagshaus habe den Krieg verurteilt oder der Ukraine seine Unterstützung ausgesprochen, so Afonin.

Selenskyj sagte in seiner Rede über Russland und den Iran, der ebenfalls nicht an der Messe teilnimmt, sie exportierten keine Kultur mehr, sondern nur noch den Tod. “Sie sind weniger präsent im kulturellen Bereich und zugleich dort präsenter, wo alles zerstört wird.”

Damit nahm der ukrainische Präsident Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und auf die Drohnen, derer sich die russische Regierung für Luftangriffen bedient. Laut den USA sollen diese aus dem Iran stammen. Nach Angaben der Buchmesse wurde Selenskyjs auf Ukrainisch gehaltene Ansprache am Vortag aufgezeichnet.

Internationale Solidarität

Nach der Rede Wolodymyr Selenskyjs äußerte sich Nina George, die Präsidentin des “European Writers’ Council”, der Autorinnen und Autoren aus 31 Ländern vereint: “Jedes Zeichen von Solidarität ist wichtig”, und sei es auch noch so klein.

Sie selbst sei – mitten im Krieg – von ihrem ukrainischen Verlag angefragt worden, weil die die Lizenz erneuern wollten, berichtete George der DW. Auf ihre überraschte Frage: jetzt? Mitten im Krieg? war die Antwort: “Aufgegen ist keine Option”.

Das legt auch der ukrainische Länderstand in Frankfurt nahe. Ukrainische Buchverlage und Institutionen stellen auf der diesjährigen Buchmesse an einem großen Gemeinschaftsstand mit eigener Bühne aus. Auf diesem Podium sagte der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch nach der Rede seines Präsidenten im Gespräch: “Wir brauchen schwere Waffen und gute Bücher.”

Dies ist eine aktualisierte Fassung eines Artikels vom 20.10.2022.