Albtraumhaft, mit Abbildungen schmerzverzerrter Gesichter, wie eine Szene aus dem Tartaros, ragt die “Säule der Schande” acht Meter auf dem Campus der Hongkonger Universität empor. Das wenig subtile Monument soll an das Tian’anmen-Massaker von 1989 erinnern, bei dem Hunderte, nach einigen Schätzungen sogar mehr als tausend pro-demokratische Protestierende durch chinesische Militärgewalt getötet wurden.  

Die Universität will die Statue entfernen. Der dänische Künstler der Skulptur, Jens Galschiøt, ist schockiert über die Entscheidung.

Die Säule der Schande ist acht Meter hoch und steht mitten auf dem Campusgelände der Hongkonger Universität.

Die “Säule der Schande” von Jens Galschiøt in der Hongkonger Universität

“Ich bin der rechtmäßige Eigentümer der Skulptur. Die Universität von Hongkong muss das respektieren. Sie glaubten bisher, dass sie der Demokratiebewegung und den Studierenden gehöre. Aber sie ist nur eine dauerhafte Leihgabe gewesen,” erklärt er im Gespräch mit der DW. 

Druck von Festland China 

Die Statue wurde 1997 im zentralen Victoria Park in Hongkong errichtet. Jedes Jahr versammelten sich dort seit 1990 zehntausende Menschen, um am 4. Juni dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz zu gedenken. Nachdem die Skulptur von Studierenden auf den Hongkonger Uni-Campus umgesiedelt worden war, fand das Gedenken auch dort statt. Vergangenes Jahr wurde es erstmals verboten – die Volksrepublik China will das Andenken an Tian’anmen um jeden Preis verhindern. 

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Hongkong: Angriff auf die freie Presse

“Die Hochschulleitung hat die Skulptur im Grunde genommen immer nur toleriert. Jetzt ist sie so weit unter Druck vom Festland geraten, dass sie das nicht länger tolerieren darf,” meint der Sinologe Professor Klaus Mühlhahn.

Die Hongkong Universität (HKU) sagt, man habe die Entfernung der Skulptur auf “rechtlichen Rat” hin angeordnet. Vertreten lässt die sich von der in Chicago ansässige Anwaltskanzlei Mayer Brown. Die Kanzlei ist in den Vereinigten Staaten eigentlich für ihre Arbeit im Bereich der Bürgerrechte bekannt. Mehrere NGOs fordern sie deshalb auf, die Universität nicht mehr zu vertreten, da dies dem Auftrag der Kanzlei, “das Leben anderer positiv zu verändern”, widerspreche. 

Abbau vorerst verschoben

Ursprünglich teilte die Universität mit, dass die Skulptur am 13. Oktober bis 17 Uhr (Ortszeit) entfernt werden sollte. Auf eine Nachfrage Galschiøts, ob die Frist aufgrund des Wetters verlängert würde, antwortete die Universität nicht direkt. Sie erklärte aber gegenüber der Hong Kong Free Press, dass sie “noch immer rechtlichen Rat einholt und mit den beteiligten Parteien zusammenarbeitet, um die Angelegenheit auf legale und vernünftige Weise zu regeln”.

Peking geht seit Monaten in der ehemaligen britischen Kolonie hart gegen Andersdenkende vor. Erst kürzlich löste sich die China-kritische Hongkonger Allianz zur Unterstützung der patriotischen demokratischen Bewegungenauf. Es war eine Reaktion auf den wachsenden Druck durch die Behörden. 

Bildhauer Jens Galschiøt steht vor einer Replika seiner Säule der Schande in Dänemark.

Bildhauer Jens Galschiøt vor einer Replika seiner “Säule der Schande” in Dänemark

Jens Galschiøt stand der Allianz nahe. “Ich habe die Skulptur 1997 zusammen mit diesen Leuten aufgestellt – mit Albert Ho, Lee Cheuk-yan und Szeto Wah, der jetzt tot ist. Es waren viele gute Leute dabei. Und diese Leute werden jetzt verhaftet. Die meisten der Leute, die ich kenne, sind im Gefängnis.” 

“Es geht um Schanden, über die niemand sprechen will oder kann”

Sollte seine Skulptur beim Abbau beschädigt werden, so droht Galschiøt eine Entschädigungzahlung zu fordern. Im Moment arbeitet er aber daran die Skulptur aus Hongkong wegzuschaffen. Das kann noch einige Monate dauern. “Ich habe mir einen Anwalt genommen. Mein früherer Anwalt wurde ins Gefängnis gesteckt, weil er ein Mitglied der Demokratiebewegung war.”

Der Bildhauer hofft, dass sein Mahnmal in Hongkong bleiben kann. Doch ist das nicht sehr aussichtsreich. Wenige Länder weltweit würden ihre Vergangenheit bewältigen. Deutschland sei in der Hinsicht eine Ausnahme. “Es gibt vier ‘Säulen der Schande’ – eine in Hongkong, eine in Mexiko und eine in Brasilien. Und eine weitere habe ich in meiner Werkstatt. Bei allen Skulpturen geht es um eine zu bewältigende Schande. Es geht um Massaker, um Menschen, die getötet wurden – im Kampf für Demokratie, im Kampf um ihr Leben. Schanden, über die niemand sprechen will oder kann.”

Gerade deshalb gehöre seine Skulptur nach China. Wenn sie nicht in Hongkong bleiben darf, dann will Galschiøt wenigstens versuchen sie in Taiwan aufstellen zu lassen. “Es ist wirklich wichtig, dass die Geschichte von Tian’anmen wach gehalten wird. Wenn man diese Art von Denkmal nicht hat, werden die Erinnerungen daran in Vergessenheit geraten.” 

Kritische Stimmen verstummen allmählich 

Professor Klaus Mühlhahn, Präsident der Zeppelin Universität, schreibt gerade ein Buch über die Geschichte Hongkongs. Er sagt, es sei zu beobachten, dass “China die Sonderverwaltungszone Hongkong immer weiter integriert, und damit auch sein eigenes politisches System, sein eigenes Rechtssystem auf die ehemalige Kolonie überträgt. Der Sonderstatus von Hongkong ist immer mehr in Gefahr und verschwindet langsam.”

Buchcover des Buches von Klaus Mühlhahn: Hongkong: Umkämpfte Metropole. Von 1841 bis heute.

“Hongkong: Umkämpfte Metropole. Von 1841 bis heute” von Klaus Mühlhahn erscheint im Januar 2022

Aufgrund dieser für viele Hongkonger besorgniserregenden Entwicklungen haben tausende Hongkonger der Stadt bereits den Rücken gekehrt und sind ausgewandert. “In der Kunst- und Kulturwelt in Hongkong wird es immer schwieriger, noch kritische Positionen zu artikulieren. Viele haben beschlossen sich jetzt erstmal zurückzuhalten, nicht mehr an die Öffentlichkeit zu gehen. Das trifft auf Schriftsteller zu. Das trifft auf Künstler zu. Das trifft auch auf Wissenschaftler und Intellektuelle zu.”

Die Universität habe die “Säule der Schande” immer toleriert, weil die Universitätsleitung mit den Positionen der Demokratiebewegung sympathisiert habe. Doch es habe auch in Hongkong schon immer ein Pro-Peking-Lager gegeben, seit ungefähr zehn Jahren stärke die Volksrepublik China ganz gezielt dieses Lager. “Und das heißt auch, dass sie systemtreue Leute in wichtige Positionen, wie eben in Unis bringen,” meint Mühlhahn.