Schon bei der Landung in Santa Cruz hängen die Passagiere aus Madrid mit ihren Handy-Kameras an den Flugzeugfenstern, in der Hoffnung Rauch und Lava zu erspähen. Aber der Pilot muss sie enttäuschen: “Heute kommt der Wind aus der anderen Richtung.” Dabei hat es vor ein paar Tagen noch Asche geregnet auf La Palma. Der Flughafen musste sogar teilweise gesperrt werden. Schutzbrillen und Kopfbedeckung waren zwingend für Vulkanbesucher, um Augenentzündungen zu verhindern. An manchen Tagen waren sogar Gasmasken notwendig.
Besorgt: Hoteldirektor Karim Gaggstatter
Aber diese Bilder sind geschäftsschädigend für La Palma. Denn die grüne Vulkaninsel, die nicht größer ist als die Stadt Hamburg, versucht händeringend die normalerweise von wohlhabenden deutschen Touristen geprägte Wintersaison zu retten. Aber alles Putzen und Kehren hilft nichts, im Aparthotel Hacienda San Jorge in der Nähe der Hauptstadt Santa Cruz bleibt die schwarze Asche an den Füßen der wenigen Gäste am Pool kleben. Auch auf den Straßen liegt eine dicke schwarze Schicht vom letzten Lava-Regen: “Erst die Pandemie, jetzt das”, erklärt Hoteldirektor Karim Gaggstatter im Gespräch mit der Deutschen Welle verzweifelt. Er befürchtet eine Pleitewelle von bereits verschuldeten kleineren Hotels und Restaurants – auch wenn Santa Cruz derzeit auf der sicheren Seite liegt. Da kommen die spanischen Schaulustigen, die das Hotel zumindest am Wochenende füllen, wie gerufen.
Silvesterstimmung am Vulkan
Die große Medienpräsenz ist neu für die kleine Insel, Vulkanausbrüche hingegen nicht. Innerhalb von gut 70 Jahren gab es gleich drei: 1949, 1971 und eben jetzt. Eine der vielen Infos, die Teilnehmer der völlig neu entstandenen Vulkan-Besichtigungen im Süden der Insel erfahren. Die Unternehmen Isla Bonita Tours und Getholiday waren die ersten, die sie angeboten haben. Jetzt ziehen andere Veranstalter nach. Der Andrang auf das Vulkan-Gebiet “Cumbre Vieja” ist so groß, dass die Anbieter sich inzwischen untereinander helfen.
Auf einer Aussichtsplattform beobachten Interessierte den Vulkanausbruch bei Sandwich und Bier
Es gibt Touren tagsüber und nachts. Ohne Licht ist das Spektakel ohne Frage beeindruckender und die Stimmung im Bus fast andächtig angesichts der feurig kochenden Naturgewalt. In der Nähe der bevölkerungsreichsten Gemeinde Los Llanos de Aridane stehen nachts überall Paare eng umschlungen, die gen Himmel starren. Einige haben eine Flasche Wein dabei. Fast wie Silvester, allerdings mit kleinen Erdstößen und Lavamassen.
Opfer und Schaulustige nebeneinander
Tourguide Romeo Weber zeigt Touristen den Vulkan
In nur wenigen Wochen hat sich auf La Palma alles geändert. “Früher kamen die Touristen mindestens eine Woche auf die Insel, weil sie wandern wollten. Jetzt buchen sie teilweise nur für drei Tage, um nichts anderes als den Vulkan zu sehen”, sagt Tourguide Romeo Weber im Gespräch mit der DW. Er ist froh, wieder arbeiten zu können und denkt nicht viel darüber nach, ob ein solcher Tourismus unethisch ist. Sechs Stunden dauern seine Nachtausflüge in einem kleinen schwarzen Mercedes-Bus. Dabei stehen die Opfer dieser Krise teilweise unmittelbar neben den Schaulustigen. Einige heulen ihrem Hab und Gut nach, andere passen in der Nacht auf, dass ihr evakuiertes Haus nicht ausgeraubt wird.
Pool-Touristen? Fehlanzeige! Die Pool-Liegen und der Pool bleiben leer.
“Der neue Tourismus stimmt nachdenklich, aber er spaltet die 80.000 Insel-Einwohnern nicht, da er langfristig internationale Hobby-Forscher nach La Palma bringt und vielleicht auch weitere wissenschaftliche Zentren”, glaubt Gaggstatter. Klimawandel und Einfluss auf die Natur könnten hier genau beobachtet werden. Denn die Insel wird von Nord nach Süd von einem bis zu gut 2400 Meter hohen Gebirgszug in zwei Klimazonen unterteilt und beherbergt nicht nur aktive Vulkane, sondern auf dem Berg Roque de los Muchachos auch Europas bedeutendste Sternwarte.
Das Hawaii Europas?
Der klare Sternenhimmel von La Palma sorgt dafür, dass an diesem Abend von der Kirche des kleinen Orts Tajuya der Blick auf den fauchenden roten Vulkan besonders beeindruckend ist. Jede Negativ-Schlagzeile kostet Touristen, weswegen die Inselregierung nichts riskiert. Auch bei Webers abendlicher Tour taucht überall Polizei auf. Kein Unbefugter soll in die weit gezogene Schutzzone rund um den Krater eindringen.
Grade sehr aktiv: Vulkan auf La Palma
Gleichzeitig muss die Polizei die rund 8000 evakuierten Häuser und Gebäude vor Plünderern schützen. Drohnen kreisen seit Wochen über dem Vulkan und liefern den spanischen Sicherheits- und Informationsdiensten lebenswichtige Informationen für weitere Evakuierungen. Rund 2000 Privathäuser und Betriebe wurden bisher in Schutt und Asche gelegt. “Wir werben auch deswegen noch nicht offen für die Tours”, erklärt Gaggstatter. Aber langfristig glaubt der 31-jährige Deutsche, dass La Palma ähnlich wie Hawaii aus dem Vulkan Geld machen wird: “Eine Reise nach Hawaii kostet rund 4000 Euro, La Palma ist als Vulkan-Ziel wesentlich günstiger.”
Erfolg in der Not
Darauf hofft auch Jonas Pérez, Chef von Isla Bonita Tours, im Gespräch mit der DW. Sein Telefon steht nicht mehr still, seit einige Medien über seine Touren berichtet haben. Der vielsprachige charismatische Inseleinwohner antwortet jedem einzelnen und konfektioniert ganz individuelle Touren. Seine Frau koordiniert alles aus dem Wohnzimmer der Schwiegereltern. Pérez lebt mit seiner Familie am Fuß des Vulkans in Puerto Naos und wurde jetzt ebenfalls evakuiert.
Jonas Pérez, Chef von Isla Bonita Tours, wird beim Vulkanausbruch selbst kurzzeitig zum Touristen
Über seinen rasanten Erfolg in seiner Notsituation freut er sich. Seine Kunden reisen inzwischen aus allen Ecken an, wie der in Galizien lebende Schriftsteller Javier Sanz, der sich ein hochwertiges Fernglas für die Tour mitgebracht hat: “Ich bin ein paar Mal allein hochgefahren, aber in der Gruppe ist es ein noch unglaublicheres Erlebnis.” Hoteldirektor Gaggstatter hat noch keine Tour gemacht, ist aber privat nachts zum Vulkan gefahren und war beeindruckt: “Keiner weiß, wie lange er noch aktiv ist, also müssen wir mit ihm unseren Frieden schließen und darüber nachdenken, wie wir mit ihm leben können.” Hawaii sei da durchaus ein Vorbild.