Lukas Ligeti hat alle Hände voll zu tun. Zum Gedenken an seinen Vater György Ligeti arbeitet er gleich an mehreren Auftragswerken. “Die meisten meiner Aktivitäten stehen jetzt unter dem Stern des 100. Geburtstags meines Vaters am 28. Mai”, sagt der Komponist und Schlagzeuger im Interview mit der DW. Mit seiner afrikanischen Band “Burkina Electric” kommt er zum Jazzfestival in Moers, das György Ligeti in diesem Jahr einen Schwerpunkt widmet.
György Ligeti war neben Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel und Pierre Boulez einer der bekannten Vertreter der “Neuen Musik” in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aufgewachsen ist er als ungarischer Jude im damals rumänischen Siebenbürgen. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verlor er seinen Vater und seinen Bruder, die im Konzentrationslager ermordet wurden.
György Ligeti war immer auf der Suche nach neuen Klängen und entdeckte dabei auch die Musik afrikanischer Kulturen.
Wie Stanley Kubrick Ligetis Musik klaute
1956, als der Ungarische Volksaufstand gegen die Sowjetische Besatzungsmacht gescheitert war, floh Ligeti nach Wien. Später lebte er in Berlin und den USA und arbeitete zuletzt als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Ligeti starb im Juni 2006 in Wien.
Mit seinem Orchesterstück “Atmosphères” gelang György Ligeti 1961 der Durchbruch im Westen. Aufsehen erregte auch das 1966 komponierte Chorwerk “Lux Aeterna”. Beide Stücke gefielen dem US-amerikanischen Regisseur Stanley Kubrick so gut, dass er sich kurzerhand entschloss, sie 1968 für sein bekanntes Science-Fiction Drama “2001: Odyssee im Weltraum” zu verwenden – allerdings ohne Erlaubnis.
Vier Millionen Jahre menschliche Evolution erzählt Stanley Kubrick in seinem Monumentalwerk “2001 Odyssee im Weltraum” von 1968.
Gerichtliche Einigung mit Kubrick
“Mein Vater ging eines Tages in ein Kino, um diesen Film anzuschauen, von dem jeder sagte, dass er der so gut sei”, erzählt Lukas Ligeti. “Als er seine Musik hörte, war er natürlich sprachlos und schockiert.” Nach der Vorstellung kam eine ältere Dame zu Ligeti und sagte, ihr habe an dem Film nur die Musik gefallen. György Ligeti bedankte sich und erwiderte, dass die Musik von ihm sei. “Die Dame reagierte ungläubig und sagte: ‘Ja, junger Mann, natürlich'”. Nach zähem Ringen um eine gerichtliche Einigung verwendete Kubrick später weitere Werke von György Ligeti in seinen Filmen “The Shining” und “Eyes Wide Shut”, dann allerdings mit Genehmigung und Bezahlung.
Ligetis Chorwerk “Lux Aeterna”, das dem Soundtrack zugrunde liegt, wird beim Jazzfestival in Moers zu Ehren des Komponisten vom Vokalensemble des Südwestrundfunks aufgeführt. Die Deutsche Welle überträgt das Konzert als Livestream auf ihrem Youtube-Kanal “DW Classical Music”.
Berauschende Stimmen singen Ligeti
Im zweiten Teil des Konzerts treten die “Trondheim Voices” aus Norwegen auf. Die acht Sängerinnen haben sich vor 20 Jahren im Jazzkonservatorium als kollektives Improvisationsensemble zusammengefunden und auf sogenannte “Live-Remix-Konzerte” spezialisiert. “Wir machen eine Improvisation, inspiriert von Ligetis ‘Lux Aeterna'”, erläutert die künstlerische Leiterin der Gruppe, Sissel Vera Pettersen. Das Werk diene allerdings nur als Basis für eine eigene Improvisation.
In Moers lassen sich die Trondheim Voices von György Ligetis “Lux Aeterna” inspirieren
Während ihres Auftritts benutzen die Trondheim Voices kleine, speziell für sie entworfene elektronische Geräte, sogenannte “Maccatrols”. Jede von ihnen trägt ein Gerät am Körper und kann damit individuell während des Konzerts Loops und verschiedene Stimmeffekte erzeugen. “Das Publikum wird viele Klänge hören, die nicht wie eine natürliche Stimme klingen, aber die ganze Musik kommt live aus der Quelle der Stimmen”, sagt Pettersen.
György Ligetis faszinierender Klang
Das Jazzfestival in Moers versteht sich nicht als klassisches Jazzfest. Seit der Gründung 1972 war man immer offen für avantgardistische Experimente. Das verbindet Moers mit der Musik von Ligeti, sagt Festivalleiter Tom Isfort im Gespräch mit der DW. “Der Soundtrack von ‘2001: Odyssee im Weltraum’, das hat die Leute gepackt, die damals aus dem Free Jazz kamen, aber auch bei Professoren der Neuen Musik studiert haben.”
György Ligeti entwickelte die sogenannte Mikropolyphonie. Dabei verschmelzen viele einzelne selbständige Stimmen zu verschiedensten Klangfarben, zu sogenannten Clustern, bei denen die Töne sehr nah beieinander liegen. So auch bei “Lux Aeterna” aus Kubricks Film.
Vater und Sohn: Die Liebe zu Afrika
György Ligeti experimentierte in den 1960ern auch mit elektronisch erzeugten Tönen und Geräuschen. Er hat aber nur wenige elektronische Stücke komponiert. Sein Sohn Lukas Ligeti hingegen arbeitet viel mit elektronischen Klängen. Seine eigene Musik bezeichnet er als “experimentelle interkulturelle Musik”, bei der die Improvisation oft eine große Rolle spielt. Lukas Ligeti verwendet Elemente afrikanischer Musiktraditionen genauso wie die Elemente aus der europäischen Konzerttradition und dem Jazz.
György Ligeti bei einer Orchesterprobe 1997
Das Interesse an Musik aus afrikanischen Kulturen verbindet Vater und Sohn. “Mein Vater war immer auf der Suche nach Polyphonie”, sagt Lukas Ligeti. Als György Ligeti zum ersten Mal Musik aus der Zentralafrikanischen Republik gehört habe, sei er fasziniert gewesen. “Da hat er eine ganz neue Form von polyphoner Musik gehört, die mit Renaissance-Musik aus Europa einiges gemeinsam hat, aber dann doch wieder ganz anders aufgeführt wird.”
Workshops und Auftragskompositionen
Lukas Ligeti gilt als Pionier der interkulturellen Komposition. In den Anfangszeiten seines Musikstudiums gab er einen Improvisations-Workshop im Auftrag des Goethe-Instituts in Abidjan. Danach beschäftigte er sich mit der Musik vieler afrikanischer Länder. Er musizierte unter anderem in Ägypten mit Musikern aus Nubien, kam nach Simbabwe, Uganda oder Kenia.
Mit seiner Gruppe Burkina Electric aus Burkina Faso spielt er seit 16 Jahren elektronische Musik mit burkinischen Musiktraditionen. Zwei der Mitglieder stammen aus Burkina Faso, zwei von der Elfenbeinküste. Mit ihnen realisiert er auch eine seiner Auftragskompositionen beim Jazzfest in Moers, das jedes Jahr einen besonderen Afrika-Schwerpunkt hat.
“Es geht im Stück um ein gesellschaftlich interessantes Phänomen, das man in vielen Teilen Afrikas findet. Es ist eine Art ritualisierter Humor, bei dem Menschen mit verschiedenen ethnischen Backgrounds einander singend frotzeln. Das baut Spannungen ab.” Zwischen verschiedenen Ethnien gebe es immer wieder Auseinandersetzungen, die man im Alltag mit humorvoller Musik überwinden könne. Das würde sich Ligeti auch in westlichen Gesellschaften wünschen.
György Ligeti starb im Juni 2006 in Wien
Mit Burkina Electric tritt Lukas Ligeti in Moers zweimal auf, doch zwischendurch ist er noch in Budapest. “Dort gebe ich ein Konzert, und dann wird eine Straße vor dem Budapest Music Center (einem Veranstaltungsort, Hinweis der Red.) nach meinem Vater umbenannt”. An dieser Zeremonie wird Lukas Ligeti gemeinsam mit seiner Mutter teilnehmen, bevor er dann abends wieder zurück zum Jazzfestival fliegt.
Die DW überträgt das Konzert “Lux Aeterna” am 28.6. um 22.00 Uhr MEZ auf ihrem Youtube-Kanal DW Classical Music.