Die Stärke der skandinavischen Länder beim diesjährigen ESC in Liverpool zeigte sich schon in diesem ersten Semifinal. Neben der als Topfavoritin gehandelten Loreen, die nach ihrem Sieg 2012 zum zweiten Mal für Schweden antritt, hat sich auch Mitfavorit Käärijä aus Finnland fürs Finale am Samstag (13. Mai) qualifiziert. Während Loreen mit einer düsteren Elektropop-Nummer glänzte, riss der junge Finne in seiner giftgrünen Jacke die Halle mit einer Mischung aus Metal, Hip Hop und Elektropop ab.
Käärijä aus Finnland mit knallhartem “Cha Cha Cha”
Auch Alessandra aus Norwegen überzeugte das Publikum mit einer kraftvollen Uptempo-Nummer mit erstaunlichen Gesangseinlagen.
Für Israel trat Noa Kirel mit einem Song auf, der zunächst wie ein typischer ESC-Song daherkommt, doch schon ab der zweiten Strophe entwickelt sich das Lied zu einem Feuerwerk aus tanzbaren Rhythmen und ebenso eindrucksvollen Tanzeinlagen – mit Trick-Hose! Verdient im Finale.
Serbien mit Mut zum Experiment
Serbien zeigt sich seit dem erfolgreichen 2022er Beitrag erfreulich experimentierfreudig und überraschte mit dem jungen Sänger Luke Black, der einen düsteren und sehr eigenwilligen Elektro-Song vortrug, begleitet von einer beeindruckenden Bühnenshow zwischen Fantasy und Science Fiction. Damit löste auch er das Ticket fürs Finale.
Wahnwitziger Song, wahnwitzige Band: “Let 3” aus Kroatien
Serbiens kroatische Nachbarn Let 3 überzeugten das Publikum mit einer verrückten Mischung aus Rocky Horror Picture Show, Village People, Drag-Revue und Militärmarsch – mit ihrem Antikriegsbeitrag werden auch sie am Samstag noch einmal auf der ESC-Bühne stehen.
Moldau punktete mit einer kraftvollen folkloristischen Nummer, gesungen vom ESC-erfahrenen Pasha Parfeni, unterstützt von einer traditionellen Flöte, Tänzerinnen und Trommeln.
Frauenpower aus Tschechien
Für Tschechien trat die Frauenband Vesna auf. Traditioneller Gesang, elektrische Rhythmen und Rap auf Tschechisch – dies alles kam gut bei den ESC-Fans an, Vesna dürfen am Samstag nochmal auf die Bühne.
Die tschechische Frauenband Vesna
Die Sängerin Mimicat brachte mit ihrer Polka Stimmung in die Halle und überzeugte das Publikum, Portugal ins Finale zu wählen.
Die Schweiz schickte den jungen Sänger Remo Forrer mit einer Klavierballade ins Rennen, mit tiefer weicher Stimme sang auch er sich ins Finale.
Kein Act alleine auf der Bühne
Nach dem Aufgebot in diesem ersten Halbfinale zeigt sich: Die Zeiten der Sängerinnen, die mit wehendem Haar und dramatischer Geste schmachtende Balladen schmettern, sind beim ESC offenbar vorbei.
Immer mehr Länder – und damit ihre Musikfans – setzen auf elektronische, tanzbare Popmusik mit Wow-Effekten, vorgetragen von Ensembles oder Einzelacts mit Unterstützung durch Tänzer.
Auch die isrealische Teilnehmerin Noa Kirel (unten im Bild) setzt auf Tanz vor riesigen Projektionen
Das “weniger ist mehr”-Motto funktioniert nur noch mit einem wirklich starken Song und überzeugender Soloperformance. Das haben in den letzten Jahren nur Salvador Sobral 2017 für Portugal und Duncan Laurence 2019 für die Niederlande geschafft.
Emotionale Pausenshow mit ukrainischer Sängerin
In der Pause stellten sich drei der fürs Finale gesetzten Acts kurz vor – La Zarra aus Frankreich, Marco Mengoni aus Italien und die deutsche Band Lord Of The Lost. Sie müssen sich nichts fürs Finale qualifizieren, da die Länder, für die sie antreten, zu den größten Geldgebern des ESC gehören und auch für die meisten Fernsehzuschauer sorgen. Auch die Ukraine als Vorjahressieger muss sich nicht qualifizieren.
Neben der britisch-albanischen Sängerin Rita Ora trat in der Pause auch die ehemalige ukrainische ESC-Teilnehmerin Aljosha (2010) auf. Sie coverte den Duran Duran-Hit “Ordinary World” – zusammen mit der Liverpooler Sängerin Rebecca Ferguson, beeindruckend in einer Fassung, die den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine thematisiert, mit emotionalen Bildern.
Aljosha singt Duran Durans “Ordinary Word” und erzählt ihre Geschichte als Kriegsopfer
Ohnehin geben sich die britischen Gastgeber viel Mühe, der Ukraine Raum zu geben. Immerhin ist Liverpool als Ausrichter des diesjährigen Eurovision Song Contest für die Ukraine eingesprungen – diese hatte mit dem Kalush Orchestra 2022 zwar gewonnen, kann wegen des Krieges natürlich keinen Musikwettbewerb in dieser Größenordnung austragen.
Kein Jahr ohne neue Regeln
In diesem Jahr galt zum ersten Mal: Beim Voting mischt keine Jury mehr mit – es zählen nur noch die Stimmen aus dem Televoting. So wird beim Abstimmungsverfahren ausschließlich der Geschmack der Fans wiedergegeben, ohne Rücksicht auf Radiotauglichkeit oder mögliche Verkaufszahlen. Zudem dürfen erstmals alle Zuschauerinnen und Zuschauer weltweit abstimmen, also auch die, deren Länder nicht beim ESC vertreten sind.
Eine neue Szenerie für die Bühne hatte sich die EBU (die European Broadcasting Union, Ausrichter des ESC) auch ausgedacht, die am gestrigen Montag bei der ersten Generalprobe getestet wurde. Alle 15 Teilnehmer-Acts sollten während der Verkündung der Ergebnisse gemeinsam auf der Bühne stehen – damit alle Gesichter gleichzeitig von den Kameras und den Augen des Publikums erfasst werden konnten. Während die zehn, die weitergekommen sind, sich fröhlich feiern würden, hätte man die anderen traurigen Mienen direkt daneben ebenfalls gesehen.
Nach dieser ersten Probe hatte man sofort festgestellt: Das ist ein absoluter Killer der Show – und nahm diese vermeintlich geniale Idee schnellstens zurück. Daher blieb dies sowohl den Künstlerinnen und Künstlern so wie dem Publikum an diesem Dienstag Abend auch erspart – und die Länder, die nicht ins Finale einziehen konnten, konnten sich in Ruhe mit ihrer Niederlage auseinandersetzen.
Am kommenden Donnerstag (11. Mai) treten im zweiten Halbfinale 16 Länder gegeneinander an – und die restlichen gesetzten Acts aus der Ukraine, Spanien und dem Vereinigten Königreich dürfen sich dann auch kurz vorstellen.