Eigentlich müsste der Eurovision Song Contest im kommenden Jahr in der Ukraine stattfinden. Doch wie die Sicherheitslage bis dahin aussieht, weiß heute niemand. Der musikalische Wettbewerb wird deshalb stattdessen deutlich weiter westlich über die Bühne gehen.
Das zweitplatzierte Großbritannien wird im kommenden Jahr anstelle des diesjährigen ESC-Siegers Ukraine den Eurovision Song Contest ausrichten. “Nach der Anfrage der European Broadcasting Union und der ukrainischen Behörden freue ich mich, dass die BBC zugesagt hat, den Wettbewerb im nächsten Jahr auszurichten”, sagte die britische Kulturministerin Nadine Dorries am Montag (25.07). Allerdings sei es traurig, dass der ESC aufgrund des “andauernden russischen Blutvergießens” nicht in der Ukraine stattfinden könne, dort wo er eigentlich hingehöre.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Fans aus Russland und von der Krim ausgeschlossen
Russlands Ausschluss vom ESC 2022 war eine Folge der Invasion in die Ukraine. Doch schon zuvor hat die Politik die diesjährige Auswahl der Ukraine beeinträchtigt. Alina Pash, die zuerst Gewählte, war 2015 aus Russland auf die Krim gereist. Damit hatte sie gegen 2019 festgelegte Regeln der Ukraine verstoßen. Sie zog sich zurück und ließ das zweitplatzierte Kalush Orchestra das Land vertreten.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Bloß nicht mit den Nachbarn verscherzen
2017 hat erstmalig ein Gastgeberland ein anderes von der Teilnahme am ESC ausgeschlossen: Die Ukraine verweigerte der russischen Kandidatin Julia Samoilowa die Einreise. Die Begründung: Die 27-Jährige soll auf der russisch besetzten Krim aufgetreten sein. Als Reaktion darauf übertrug das russische Staatsfernsehen den Contest nicht.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Politische Poesie?
Drama zwischen Russland und der Ukraine auch beim Song Contest 2016: Die ukrainische Sängerin Jamala schlug den Russen Sergej Lasarew. Ihr Song “1944” über Stalins Deportation von Krimtataren während des Zweiten Weltkriegs galt als umstritten. Eigentlich darf ein ESC-Song nicht explizit politisch sein. Jamala gewann dann jedoch glorreich mit 534 Punkten. Russland wurde Dritter, Australien Zweiter.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Ansingen gegen Radikale
Das Motto des Eurovision Song Contest 2017 lautet “Celebrate Diversity”. Vielfalt wurde vor drei Jahren schon mit dem Sieg der österreichischen Drag-Queen Conchita Wurst (alias Tom Neuwirth) in Kopenhagen demonstriert. Allerdings nicht ohne Gegenwind. Radikale Gruppen aus Russland, Aserbaidschan und Weißrussland wollten Wursts Teilnahme verhindern. Aber ohne Erfolg.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Österreich bekennt Farbe
1969 bezieht Österreich politisch Stellung gegen Spanien: Das Land verweigerte die Teilnahme am Wettbewerb in Madrid, um ein Zeichen gegen das Franco-Regime zu setzen. General Francisco Franco regierte Spanien als Militärdiktatur – 39 Jahre lang von 1936 bis zu seinem Tod 1975. Schätzungsweise 200.000 bis 400.000 Menschen kamen in Folge von Menschenrechtsverletzungen ums Leben.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Singen für die Freiheit
Premiere 2001: Estland gewinnt als erstes Land der ehemaligen Sowjetunion den ESC. “Wir haben uns durch die Musik selbst vom Sowjetreich befreit”, sagte der estnische Premierminister Mart Laar nach dem Sieg in Kopenhagen. “Jetzt werden wir uns nach Europa singen”, verkündete er weiter. Eine Anspielung auf die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Estland wurde 1991 unabhängig.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Russendisko
Georgien wurde 2009 vom Contest in Moskau ausgeschlossen. Der Grund: Die Europäische Rundfunkunion (EBU) befand den Text des funkigen Songs als zu politisch. Das georgische Frauentrio 3G mit dem Sänger Stephane hatte offensichtlich mit ihrem Titel “We Don’t Wanna Put In” ein Wortspiel mit dem Namen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gemacht, das Moskau nicht gefiel.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Nachbarschaftshilfe in Sachen Punkte
Lange ein Streitpunkt: Nachbarländer, die sich gegenseitig Punkte zuschustern. Der ehemalige britische Showmaster Terry Wogan quittierte seinen Job 2008, weil der ESC “kein Musikwettbewerb mehr” sei. Der Vorwurf richtete sich hauptsächlich gegen Zypern und Griechenland, die skandinavischen Länder, die Balkanstaaten und den ehemaligen Ostblock. Letztes Jahr wurden die Regeln dann geändert.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Sprachlose Belgier
Sprache war schon immer eine der fundamentalen Schwachstellen in Belgiens anhaltender Eurovisions-Existenzkrise. Jahrelang hatte Belgien abwechselnd mal einen flämischen, mal einen französischen Beitrag antreten lassen. 2003 dann der diplomatische Coup mit dem Song “Sanomi”: Der wurde von der Band Urban Trad gesungen – in einer fiktiven Sprache.
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ESC: Von wegen unpolitisch
Erdogan-Vision statt Eurovision
Seit 2013 hat die Türkei nicht mehr mitgesungen. Offiziell wurde der Schritt mit “Unzufriedenheit mit den Regeln” begründet. Nach dem Sieg von Conchita Wurst 2014 bekräftigte ein Abgeordneter von Präsident Recep Tayyip Erdogans Partei AKP, das Land werde nicht zum Eurovision Song Contest zurückkehren. Stattdessen veranstaltet die Türkei seit 2013 den “Turkvision Song Contest”.
Autorin/Autor: Kate Brady, Elizabeth Grenier
Ukraine gewann den 66. ESC mit Kalush Orchestra
Mitte Mai hat die ukrainische Gruppe Kalush Orchestra mit dem Lied “Stefania” in Turin den 66. ESC gewonnen. Damit hatten die Ukrainer zum dritten Mal das Recht auf die Austragung der TV-Musikshow im kommenden Jahr erlangt, schon 2005 und 2017 waren sie Gastgeber gewesen. Der Sieg des Kalush Orchestra dieses Jahr war für die umkämpfte Ukraine ein dringend benötigter Mutmacher.
Doch wegen Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit dem seit rund fünf Monaten andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine teilte die Europäische Rundfunkunion (EBU) mit, Gespräche mit der BBC in Großbritannien über die Austragung zu führen.
Der Brite Sam Ryder hatte in Turin den zweiten Platz belegt. Unklar ist bisher, in welcher Stadt der Wettbewerb ausgetragen wird. Manchester und Glasgow haben Interesse signalisiert, wie die BBC berichtete.
Der Brite Sam Ryder war Jury-Favorit und belegte beim ESC 2022 den zweiten Platz
Ukrainische Regierung wehrte sich zunächst gegen die Entscheidung
Die Europäische Rundfunkunion (EBU), Organisatorin des Wettbewerbs, hatte bereits Mitte Juni erklärt, dass die ukrainische Rundfunkanstalt UA nicht in der Lage sein werde, die notwendigen “Sicherheits- und Betriebsgarantien” zu leisten.
Bereits damals kündigte sie Gespräche mit der BBC als Ausweich-Gastgeberin an. Die ukrainische Regierung hatte sich zunächst gegen diese Entscheidung gewehrt, war aber mit ihren Einwänden auf Granit gestoßen. Laut EBU willigte der ukrainische Sender UA:PBC nun ein, dass Großbritannien einen ESC ausrichte, der vom “ukrainischen Geist” durchdrungen sei.
“Der Eurovision Song Contest 2023 wird nicht in, sondern zur Unterstützung der Ukraine stattfinden”, sagte UA:PBC-Chef Mykola Tschernotyzkyi in einer gemeinsamen Erklärung mit EBU und der BBC. “Wir sind unseren BBC-Partnern dankbar, dass sie sich mit uns solidarisch zeigen”, erklärte er weiter.
Boris Johnson: Die Ukraine verdient den ESC
Der britische Premierminister Boris Johnson hatte sich vor einem Monat für eine Austragung des nächsten Eurovision Song Contest (ESC) in der Ukraine ausgesprochen. “Tatsache ist, dass sie ihn gewonnen haben, und sie verdienen es, ihn zu haben”, sagte Johnson damals.
Nun teilte der scheidende Regierungschef mit: “Vergangene Woche haben [der ukrainische] Präsident [Wolodymyr] Selenskyj und ich vereinbart, dass der ESC 2023, wo auch immer er stattfindet, das Land und die Menschen der Ukraine feiern muss. Da wir nun Gastgeber sind, wird das Vereinigte Königreich dieses Versprechen direkt einlösen – und im Namen unserer ukrainischen Freunde einen fantastischen Wettbewerb veranstalten.”
kt/so (mit dpa/AFP)