Bequem, günstig, unisex – schnell reingeschlüpft, schon angekleidet: Die Jogginghose ist längst zur modischen Alltagskleidung geworden. Jedoch nicht in Wermelskirchen im Bundesland Nordrhein-Westfalen: Eine Sekundarschule hat Schüler nach Hause geschickt, weil sie mit Jogginghose im Unterricht erschienen. “Wir möchten unsere Schüler:innen dazu animieren, Kleidung zu tragen, die nicht zum ‘Chillen’ verleitet”, teilte die Schulleitung auf die darauffolgende mediale Empörungswelle mit.
Damit setze die Schule eine bereits seit 2019 geltende Kleiderordnung um. “Jugendliche müssen lernen, dass in verschiedenen sozialen Räumen verschiedene Verhaltensweisen gelten. Kleidung, die zu Hause auf der Couch angemessen ist, ist es unter Umständen in der Schule nicht. Man liegt ja auch nicht auf Schultischen wie auf einer Couch”, sagte Moritz Lohmann dem Remscheider Generalanzeiger. In einem Elternbrief bittet er die Eltern um “Unterstützung dieser Erziehungsmaßnahme”.
“Schulzeit ist Arbeitszeit”
Der didaktische Leiter der Wermelskirchener Sekundarschule hält die Stoffhosen einzig für einen Zweck bestimmt: fürs Joggen. So sieht es auch die Deutsche-Knigge-Gesellschaft: “Sportler tragen auf dem Sportplatz ihr Trikot als Arbeitsuniform und nach getaner Arbeit die Jogginghose in ihrer Freizeit. Schulzeit ist Arbeitszeit, daher hat die Jogginghose dort keinen Platz”, heißt es in einem Statement gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Knigge-Gesellschaft ist in Deutschland die Instanz in Sachen Benehmen und geht auf Adolph Freiherrn Knigge (1752 – 1796) und dessen soziologische Abhandlung “Über den Umgang mit Menschen” zurück.
Laufsteg-Mode: Jogginghose à la Kilian Kerner
Selbst Sportler folgen dieser Benimm-Regel. So wollte Fußballtrainer Jürgen Klinsmann 2019 seine Mannschaft Hertha BSC bei Dienstreisen zu Auswärtsspielen nicht in Trainingsanzügen sehen. Businesslook, wie er beispielsweise seit 2005 in der US-amerikanischen Basketballliga Pflicht ist, sollte es nicht gleich sein, aber die Jogginghose hatte in der Sporttasche zu bleiben.
Kontrollverlust oder Rebell?
Wer kennt ihn nicht, den berühmten Ausspruch der Mode-Legende Karl Lagerfeld: “Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.” Dass das längst nicht mehr stimmt, beweisen zahlreiche Modedesigner wie Valentino, Gucci oder Prada, die die einstige Gammelhose aus edler Seide schneidern oder mit Swarovski-Kristallen verzieren. Statt Kontrollverlust also ein rebellisches Statement, meint der Kultur- und Modesoziologe Lutz Hieber. “Die Jogginghose ist Ausdruck einer unverkrampften Lebenshaltung, die sich kaum darum schert, überkommenen Maßstäben zu entsprechen”, sagte der emeritierte Professor der Leibniz Universität Hannover gegenüber der Nachrichtenagentur epd. Müsste es heutzutage also heißen: Wer Jogginghose trägt, der hat sein Leben erst recht unter Kontrolle?
Hatte Karl Lagerfeld selbst die Kontrolle verloren? Bequeme Kleidung bei der Supermarkt-Chanel-Schau in Paris 2014
Wer hat die Jogginghose erfunden?
Die Geschichte der Jogginghose begann vor mehr als 100 Jahren im Land der Mode: in Frankreich. In den 1920er-Jahren brachte die Marke Le Coq Sportif die erste Jogginghose auf den Markt. Richtig beliebt wurde das Textilstück in den 1970er-Jahren mit der Fitness-Bewegung. Gleichzeitig galt sie ab den 1980ern als prollige Uniform sozial Schwacher, die darin eben keinen Sport, sondern ihre Einkäufe machten. Erfolgreicher waren da die Rapper und Hip-Hopper: Ihre Jogginghosen galten ab den 1990ern als modisches Statement der Straße.
Seit 2009 hat die bequeme Hose mit Gummibund übrigens ihren eigenen Feiertag: den Internationalen Tag der Jogginghose am 21. Januar. An dem Tag kleidete sich damit sogar einmal eine Nachrichtensprecherin der ARD-Tagesschau. An manchen Schulen tragen an diesem Tag auch Lehrer Jogginghosen – sicherlich nicht in Wermelskirchen.
Kleidung ist persönliche Angelegenheit
Aber wer darf entscheiden, was getragen wird? In Deutschland gibt es keine Schuluniform. Die Schulen dürfen im Rahmen der Schulordnung eine Kleiderordnung festschreiben, diese ist rein rechtlich aber nur eine Empfehlung, keine Pflicht. Das ausgesprochene Jogginghosen-Verbot für Schüler ist nach Ansicht von Rechtswissenschaftlern nicht haltbar. “Es gibt keine Grundlage für ein individuelles Verbot. Die Rechtslage ist ziemlich eindeutig”, sagte Professor Hinnerk Wissmann, Hochschullehrer von der Uni Münster, der Deutschen Presse-Agentur.
Auch an Universitäten gibt es keine Kleiderordnung, anders als beispielsweise an Elite-Universitäten in Großbritannien, wo es strenge Dresscodes für Prüfungen oder Zeremonien gibt. In Deutschland hat sogar schon einmal eine Jurastudentin geklagt – und Recht bekommen: Sie hatte bei einer mündlichen Prüfung in der Kategorie Präsentationsweise einen Abzug bekommen, da sie nicht im schicken Hosenanzug, sondern in Jeans und Bluse erschien.
Jogginghosen-Gang: Hip-Hop-Stars Dr. Dre und Snoop Doog beim Super Bowl 2022
Damit schützt der Gesetzgeber das Recht des Einzelnen auf Individualität, das äußere Erscheinungsbild bleibt eine persönliche Angelegenheit. So sieht es auch der 56-jährige Modeschöpfer Thomas Rath, der “selber ein großer Fan der Jogginghose” ist. “Die Akzeptanz der Jogginghose hat stark zugenommen, aber nicht nur unter dem Aspekt des Homeoffice, sondern auch durch den großen Einfluss der Streetwear in unserem Alltag, welcher wichtig ist und uns jung hält”, sagte der Juror bei “Germany’s Next Topmodel” der Deutschen Presse-Agentur.
Er lehnt ein Verbot ab. “Die Jahre des Modediktats sind, Gott sei Dank, vorbei und wir können uns individuell kleiden”, so Rath. Jogginghose sei längst keine Homewear mehr, sondern Haute Couture. “Viele Promi-Damen haben sogar eine Jogginghose stilsicher auf dem roten Teppich präsentiert.” Vielleicht täten in Wermelskirchen den Lehrkräften ein paar Nachhilfestunden in Sachen Mode ganz gut.