Oft sind es Aktivisten und Historiker, die die Erinnerung an den deutschen Kolonialismus nach mehr als 100 Jahren wachhalten. Ihnen ist zu verdanken, dass Debatten um Restitution von Kulturgütern und Entschädigung von kolonialem Unrecht auf die politische Agenda gelangt sind – wie etwa das Beispiel Namibia zeigt.
Um Tansania, Teil der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, war es bisher noch ruhig. Doch das wollen Politiker auf beiden Seiten jetzt ändern. Dabei geht es um die Rückgabe der menschlichen Überreste unzähliger Opfer der Kolonialkriege, die in deutschen Museen lagern, und um die Restitution von Kulturobjekten – sogenannter Beutekunst.
Historiker empfiehlt “Rückgabe aus tiefstem Herzen”
“Für dieses Vorhaben ist es auf keinen Fall zu spät”, sagt der tansanische Historiker Philemon Mtoi im DW-Interview. “Der Zeitpunkt ist richtig, um neu anzuknüpfen, die Menschen zu versöhnen und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.” Deutschland solle darauf achten, dass es “nicht die Beziehungen zerstört, die auch nach der Kolonialisierung in Tansania bestehen”, fügt Mtoi an.
Die deutschen Verantwortungsträger sollten daher kritisch an diese Aufgabe herangehen und sich die Art und Weise, wie sie Objekte zurückführen, gut überlegen, rät Mtoi. Ihre Gesten sollten authentisch sein, “aus tiefstem Herzen” kommen. Deutschland könne somit auf ehrliche Weise dafür sorgen, dass die Vergangenheit in Erinnerung bleibt.
2022 empfing Tansanias Präsidentin Samia Suluhu Hassan Staatsministerin Katja Keul und Botschafterin Regine Hess (v.r.)
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn die Aufarbeitung der Gräueltaten während der deutschen Kolonialzeit in Tansania steht ganz am Anfang. Doch auch deutsche Akteure drängen zur Eile. So Katja Keul (Bündnis 90/ Grüne), Staatsministerin im Auswärtigen Amt: “Geschehnisse sind eben sowohl in Tansania als auch in Deutschland nicht ausreichend bekannt”, sagt Keul im DW-Interview. Und das sei wichtig, denn es seien schwere Verbrechen begangen worden.
Grabfrevel in Tansania
Mehrere Aufstände wurden zur Zeit der Kolonialherrschaft brutal bekämpft. Besonders verheerend waren die Entwicklungen um den Maji-Maji-Aufstand von 1905 bis 1907 in Ostafrika, bei dessen Niederschlagung nach Schätzungen von Historikern bis zu 300.000 Menschen getötet wurden. Zahllose Schädel und Knochen gelangten in der Folge nach Deutschland.
Gespräche mit Namibia führten bereits zu Rückgaben: im Bild Hermann Parzinger mit Esther Moombolah-/Gôagoses vom Nationalmuseum Namibia
Nach dem Willen des Auswärtigen Amtes und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin sollen die sterblichen Überreste an Tansania zurückgegeben oder an einem angemessenen Ort bestattet werden. Laut Stiftungspräsident Hermann Parzinger hat die Stiftung 2011 die große Sammlung menschlicher Überreste des Medizinhistorischen Museums der Charité in ihren Bestand übernommen.
Sie seien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aus Friedhöfen von Dorfgemeinschaften geraubt worden, um hauptsächlich in Deutschland anthropologische Untersuchungen vorzunehmen, sagte Parzinger im DW-Interview. “Das ist Grabzerstörung, Grabfrevel, was damals wie heute hier in Deutschland strafbar gewesen wäre.”
Insofern solle nun der gesamte Bestand zurückgeben werden. Allerdings gebe es eine Verpflichtung, im Vorfeld einer Rückgabe alle Informationen, auch in Archiven in ostafrikanischen Staaten, zusammenzutragen, um die genaue Herkunft der Gebeine möglichst präzise zu bestimmen.
Frage der Entschädigung in Tansania auf dem Tisch
Das sei geschehen – es gebe eine Publikation dazu, die mit Kolleginnen und Kollegen aus Ruanda und Tansania angefertigt worden sei. “Diese Informationen haben wir schon bei Projektabschluss vor zwei, drei Jahren an die betreffenden Staaten des Bestands von 1200 Schädeln übermittelt – etwa 250 stammen aus Tansania, circa 900 aus Ruanda und 35 aus Kenia”, sagt Parzinger der DW.
Der Schädel des tansanischen Widerstandskämpfers Mkwawa tauchte später in Bremen wieder auf
Auch Tansania erhöht den Druck auf die Bundesregierung, Verantwortung für deutsche Kriegsverbrechen während der Kolonialzeit in Ostafrika zu übernehmen. Der tansanische Botschafter in Berlin, Abdallah Possi, forderte die Bundesregierung Anfang 2020 zu “Verhandlungen über Wiedergutmachungen” für Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit in Ostafrika auf.
Die tansanische Regierung bereitet sich gerade auf die gemeinsame Arbeit mit der deutschen Regierung vor und hat eigens einen Sonderausschuss für diesen Zweck gegründet, wie die DW von Said Othman Yakubu, Staatssekretär im Ministerium für Kultur, Kunst und Sport, erfuhr. “Der Ausschuss ist noch in Arbeit”, sagt Yakubu. Sobald die Vorgehensweise auf tansanischer Seite geklärt sei, werde es konkrete Antworten geben. “Die Frage der Entschädigung ist einer der Punkte, die auf dem Tisch liegen”, sagt Yakubu.
Heilung nicht mit Reparationen zu erkaufen
Für den Historiker Mtoi darf es allerdings nicht hauptsächlich um Reparationszahlungen gehen, damit allein könne niemand Frieden und Heilung in der Gesellschaft erkaufen. Regierung, Politiker und auch die betroffenen Familien sollten diese Gelegenheiten nicht als “goldenen Moment nutzen, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen”, so Mtoi.
Vielmehr müssten sie die Tatsache respektieren, dass ihre Geschichte nicht mit materiellem Gewinn aufgewogen werden könne, sondern dass sie wiederhergestellt und in Ehren gehalten werden sollte – egal was Afrikaner und Tansanier während der damaligen Regierung der Deutschen durchlebt hätten.
Keul: Aufarbeitung stärkt Blick in die Zukunft
Die gemeinsame Aufarbeitung der Historie würde den Blick in die Zukunft richten und eine intensivere Beziehung daraus ableiten, sagte auch Katja Keul zur DW. Aber im Moment liege noch vieles, was Tansania betreffe, im Dunkeln. “Das heißt, dass auch auf der anderen Seite zunächst erst einmal geklärt werden muss, was man denn eigentlich genau für Bedürfnisse hat und wie wir da zusammen kommen können”, so Keul.
Im Berliner Humboldt Forum soll sich eine Ausstellung im September kritisch mit der Tansania-Sammlung befassen. Die Objekte aus dem Maji-Maji-Krieg sollen dann voraussichtlich 2024 gezeigt und anschließend an Tansania zurückgegeben werden.
Mitarbeit: Verena Greb, Sudi Mnette, Rosalia Romaniec