“Es war falsch, sie zu nehmen, und es war falsch, sie zu behalten”, hatte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am 20. Dezember 2022 in Abuja, der Hauptstadt Nigerias, gesagt. Zusammen mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte sie an diesem Tag die ersten 20 der kostbaren Benin-Bronzen persönlich an das westafrikanische Land zurückgegeben.
125 Jahre hatten sich die Kunstschätze in Deutschland befunden. Sie sind Teil einer auf 20 deutsche Museen verteilten Sammlung von rund 1100 geraubten Artefakten aus dem Palast des damaligen Königreichs Benin, das heute zu Nigeria gehört. Die Objekte aus Bronze, Elfenbein und weiteren kostbaren Materialien gehören zu den wichtigsten Kunstwerken des afrikanischen Kontinents. Die meisten von ihnen wurden von britischen Kolonialisten um das Jahr 1897 geraubt.
Doch die Frage lautet nun: Werden die Nigerianerinnen und Nigerianer die zurückgegebenen Bronzen jemals in einem Museum anschauen können?
Die Bronzen gehören jetzt dem früheren Königshaus
Mehrere afrikanische und internationale Medien berichten nämlich übereinstimmend, dass Nigerias scheidender Staatspräsident Muhammadu Buhari die Bronzen inzwischen an Oba Ewuare II. übereignet hat – er ist das aktuelle Oberhaupt der ehemals königlichen Familie des Benin-Reiches. Die Rückgabe ist demnach bereits am 23. März erfolgt.
Claudia Roth und Annalena Baerbock am 20.12.2022 in Abuja mit Nigerias Außenminister Geoffrey Onyeama und Kulturminister Lai Mohammed (v.l.n.r.)
In Deutschland wurde das Thema durch die Schweizer Wissenschaftlerin Brigitta Hauser-Schäublin bekannt – sie stellt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Frage: “War das der Sinn der Restitution?” Die Rückgabe der Bronzen ende nun in einem “Fiasko”, die Vereinbarung zur Eigentumsübertragung zwischen Deutschland und Nigeria, sei viel zu “leichtfertig formuliert” gewesen, kritisiert sie die deutsche Bundesregierung.
Bronzen in der Ausstellung “Benin. Geraubte Geschichte” in Hamburg (16.12.2021)
Laut der offiziellen Bekanntmachung des nigerianischen Präsidenten vom 23. März müssten alle Kunstgegenstände an den Oba von Benin übergeben werden. Denn dieser besitze die Rechte des ursprünglichen Eigentümers und Bewahrers der Kultur, des Erbes und der Tradition des Volkes des Königreichs Benin. Im übrigen gelte das “sowohl für bereits zurückgegebene als auch für noch nicht zurückgegebenen Artefakte”. Was Ewuare II. mit den Kunstgegenständen mache, sei seine Entscheidung. Er könnte sie also in seinem Anwesen in Benin-Stadt aufbewahren oder auch an einem anderen Ort. Sie könnten in einem privaten Palastmuseum ausgestellt werden. Ob sie dort dann aber auch der nigerianischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Oder könnte der neue Eigentümer seinen Privatbesitz womöglich sogar an Sammler verkaufen? Es gibt sehr viele offene Fragen.
Bundesregierung und Stiftung Preußischer Kulturbesitz stehen zur Restitution
Die deutsche Bundesregierung sieht den Sinn von Restitutionen indes nicht infrage gestellt. “Richtig bleibt es, Raubkunst an die Staaten zurückzugeben, die heute die Menschen und Kultur repräsentieren, denen diese Kunst einst gestohlen wurde”, sagte ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Claudia Roth am Sonntag der Deutschen Presseagentur (dpa). Es solle nun gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt geklärt werden, was die Maßnahme des scheidenden Präsidenten Muhammadu Buhari zu bedeuten habe. “Dazu wollen wir mit der neuen nigerianischen Regierung ins Gespräch kommen, sobald diese im Amt ist”, so Roths Sprecher.
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Aus dem Auswärtigen Amt war Ähnliches zu vernehmen: “Bei wem die zurückgegebenen Bronzen verbleiben, welche nigerianischen Institutionen und Personen beteiligt werden, und wo die Verantwortung zur Bewahrung sowie Zugänglichmachung liegt, sind Fragen, über die in Nigeria entschieden wird”, hieß es am Sonntag in Berlin. “Die Rückgabe der Bronzen an Nigeria war nicht an Bedingungen geknüpft.”
Durch den Vorgang werde “die Rückübertragung der Eigentumsrechte an Nigeria nicht infrage gestellt”, sagte auch Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie beruhe “auf der Tatsache, dass es sich um eine gewaltsame Plünderung handelte, und dieser Unrechtskontext war stets unbestritten”, so Parzinger gegenüber der dpa. Er betonte die Eigenständigkeit Nigerias. Die Regierung sei “natürlich frei in ihrer Entscheidung, wie künftig mit diesen Objekten umzugehen sein wird”.
Kein überraschender Vorgang
Neu ist die Übergabe von Artefakten an den Oba von Benin übrigens nicht: Anfang 2022 hatte der nigerianische Präsident ihm zwei Artefakte aus britischer Raubkunst übergeben.
19.02.2022: Oba Ewuare II (Mitte, mit roter Kopfbedeckung) nimmt zwei Artefakte britischer Raubkunst entgegen
“Es ist ein historischer Tag, an dem wir zurückbringen, was uns nie gehört hat”, hatte Claudia Roth im Dezember in Abuja gesagt. “Diese Rückgabe steht für die Anerkennung von Unrecht einer kolonialen Vergangenheit, die sich Raubgut zu eigen gemacht hat”, so die Kulturstaatsministerin im Interview mit der DW. Mit der Rückgabe würden sich hoffentlich auch offene Wunden schließen, “denn wir geben auch die kulturelle Identität, die wir gestohlen haben, ein Stück weit zurück”.
Außenministerin Baerbock hatte in ihrer Rede darauf hingewiesen, welche Bedeutung Kunst für die Identität einer Nation habe. Die Bronzen seien nicht nur einfach Kunstwerke oder kulturelles Erbe, sie seien für die Gegenwart genauso wichtig wie für die Vergangenheit. “Kunst informiert uns darüber, wer wir sind. Kunst formt, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir die Welt wahrnehmen.”
Allerdings ist nun eben nicht klar, ob das nigerianische Volk die Chance haben wird, sich persönlich ein Bild von den Kunstgegenständen zu machen. Hermann Parzinger zeigte sich am Sonntag optimistisch: Er habe keinen Zweifel daran, dass die Werke in einem Museum der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen werden – und außerdem ein Drittel der Artefakte im Berliner Humboldt Forum als langfristige Leihgabe zu sehen sein wird.