Im Mai 2019 gab es in Äthiopien den Welttag der Pressefreiheit. „Dessen Symbolik ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass Äthiopien noch vor einem Jahr als das Land in Afrika galt, das die meisten inhaftierten Journalisten hatte und als eines der repressivsten Länder auf dem Gebiet unabhängiger Informationen und Medien bezeichnet wurde“, rühmte sich Premierminister Abiy Ahmed. Im Jahr 2019 stufte die Organisation Reporter ohne Grenzen Äthiopien in ihrem Weltindex für Pressefreiheit um 40 Plätze besser ein als gegenüber dem Vorjahr.

Dank eines reformorientierten Premierministers war zu dieser Zeit kein einziger Journalist aus politischen Gründen inhaftiert; das währte nur etwa ein Jahr. Die einstigen unrühmlichen Gewohnheiten des Staates, unabhängige Journalisten zu inhaftieren und einzuschüchtern, kehrten schließlich mit aller Macht zurück. Zwischen Mai und Dezember 2020 untersuchten Journalisten der Zeitschrift Addis Standard die Inhaftierung von 33 Journalisten, keiner der Betroffenen konnte sich vor Gericht verantworten. Schon bevor der Bürgerkrieg im Bundesstaat Tigray im November 2020 ausgebrochen war, waren kritische und unabhängige Journalisten Ziel von Online-Angriffen.

Die Medien in Äthiopien, wurden durch massive Einschüchterung unter Druck gesetzt oder ganz zum Schweigen gebracht.
Im Zuge des Bürgerkriegs beschloss die Regierung, die gesamte Kommunikation im Bundesstaat Tigray zu kontrollieren. Bis dahin unabhängige Medien konnten nicht mehr über die Lage in der Region berichten. Der Staat setzte Journalisten massiv unter Druck, bezahlte Lobbygruppen standen zudem hilfreich zur Seite. Von der Regierung verantwortete Gräueltaten, teilweise ausgeübt von verbündeten Truppen aus dem benachbarten Eritrea, blieben meist ungeklärt, kaum jemand berichtete darüber.

Die politisch motivierte Gewalt dehnte sich weit über den Bundesstaat Tigray hinaus aus, Äthiopien wurde zunehmend zum Aufmarschgebiet bewaffneter Kräfte aus dem Nachbarland. Zum Teil kämpften sie gegen die Regierung von Präsident Ahmed. Die noch verbliebenen unabhängigen Medien der Region, insbesondere die in Äthiopien, wurden durch massive Einschüchterung unter Druck gesetzt oder ganz zum Schweigen gebracht.

Allein in den vergangenen zwei Monaten wurden die YouTube-Kanäle Awlo Media und Ethio Forum eingestellt, die sich kritisch mit dem Bürgerkrieg befasst hatten. Die Mitarbeitenden der Informationskanäle wurden verhaftet oder verschwanden spurlos. Erstmals seit 1992 verloren zwei Journalisten in Äthiopien ihr Leben: Dawit Kebede wurde im Bundesstaat Tigray und Sisay Fida in Oromia auf offener Straße erschossen.

Heute zensiert die äthiopische Medienbehörde viele nicht „linientreue“ Medien des Landes. Im Juli wurde die Zeitschrift Addis Standard wegen der Verwendung des Begriffs „Tigray Defense Forces“ rechtswidrig von der Behörde geschlossen. Unabhängige Journalisten vor Ort werden ständig ermahnt, keine Informationen zu verwenden, die von den tigrayischen Behörden stammen. Die Bundesarmee hatte sich aus weiten Teilen des Staates zurückziehen müssen. Und das mitten in einer verheerenden Hungersnot. Die äthiopische Regierung überprüft lokale Medien und bezeichnet nicht-linientreue Journalisten in der Region schnell als „Terroristen“.

Für unabhängige Medienschaffende ist Äthiopien unter der Führung von Premierminister Abiy Ahmed zu einem riskanten Schauplatz geworden.

Dies zeigt auch der jüngste Vorfall: Im Oktober verschwand der Mitbegründer und Chefredakteur des Online-Magazins „Ethiopia Insider“, Tesfalem Waldayes, kurz nachdem er ein Video veröffentlicht hatte, in dem Oromo-Jugendliche bei einem Festival in der Hauptstadt Addis Abeba gegen Premierminister Abiy protestierten. Zwei Tage später bestätigte die Polizei seine Festnahme. Wenig später kam er wieder auf freien Fuß. Waldayes war früher für DW Amharic tätig.

Weltzeit | Tsedale Lemma

Tsedale Lemma

ist Journalistin und Gründerin von JAKENN Publishing PLC und des unabhängigen politischen Printmagazins Addis Standard. Das monatlich erscheinende Magazin ist eines der führenden Medien in Äthiopien.

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