Der neueste Stolperstein gemahnt an den Nürnberger Johann Wild, der 1941 von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde, weil er in Briefen das NS-Regime angeprangert hatte. Jede der bis heute in den Boden eingelassenen Messingtafeln verweist auf das Schicksal eines Menschen, der von den Nazis verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurde.
Demnig und andere verlegen sie auf Gehwegen vor dem letzten Wohnstätten der NS-Opfer, bis heute wurden 100.000 Stolpersteine in 27 europäischen Ländern installiert.
Kunstaktion anfangs illegal
Genau 100.000 Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig inzwischen verlegt
Vor elf Jahren begann Demnigs Kunstprojekt, damals noch als illegale Verlegeaktion in Köln, weil ohne behördliche Erlaubnis. Anlass war der 50. Jahrestag des sogenannten Ausschwitz-Erlasses von Heinrich Himmler, einem der Hauptverantwortlichen für den Holocaust.
Mit dem Erlass verfügte der einstige Reichsführer SS die Deportation aller im Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma. Mit seinen Stolpersteinen setzt Demnig auf eine private Form des Erinnerns – abseits der staatlichen Erinnerungskultur in Deutschland.
“Die Stolpersteine sind mein Lebenswerk”, sagt der 75-jährige Bildhauer. Mit seiner Ehefrau Katja wohnt er im mittelhessischen Alsfeld-Elbenrod. Sein Markenzeichen ist ein brauner Cowboyhut mit breiter Krempe. Anfangs hat er die knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Würfel noch selbst verlegt. Immer öfter übernehmen das andere. In die Messingplaketten auf den Steinen sind Name und Schicksal der Opfer eingraviert.
Wirksamer als ein Geschichtsbuch
An viele Geschichten erinnert sich der Künstler bis heute. “Einmal, bei einer Verlegung, kamen zwei Schwestern”, erzählt er. “Die eine war aus Kolumbien, die andere aus Schottland, beide waren damals durch einen Kindertransport gerettet worden, die Eltern wurden ermordet. Die hatten sich seit 60 Jahren nicht gesehen und meinten:” Jetzt sind wir mit unseren Eltern wieder vereint.” Demnig schlägt sich mit der flachen Hand vor die Augen, kämpft mit den Tränen: “Dann weißt du, warum du das machst.”
Stein für Stein – so entstand das weltgrößte dezentrale Mahnmal der Welt
Die Initiative zu den Steinverlegungen geht inzwischen von Geschichtsvereinen, Bürgerinitiativen, Angehörigen oder auch von Schulprojekten aus, die Demnig anfragen. 132 Euro kostet ein Stein inklusive Verlegung.
Wem ein solcher Stolperstein beim Spaziergang begegnet, bleibt unverwandt stehen. Um wen geht es? Und was ist diesem Menschen widerfahren? Demnig freut sich über diesen Effekt: “Es ist ein Unterschied, ob die Jugendlichen ein Buch aufschlagen und von sechs Millionen ermordeten Juden lesen oder von einem Familienschicksal vor Ort erfahren”, ist der Künstler überzeugt.
Auch Kritik an den Stolpersteinen
Der Künstler Gunter Demnig beim Verlegen seiner Stolpersteine vor dem Auswärtigen Amt in Berlin
Doch gibt es auch Kritik an seinen Stolpersteinen, so von Vertretern jüdischer Organisationen. Die Schicksale der Opfer würden im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten, wirft etwa Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Demnig vor.
Der Künstler nennt das ein “unsägliches Gegenargument” und weist es weit von sich: Die Kritiker würden die Gräueltaten der Nazis mit solchen Aussagen verharmlosen und die Opfer verhöhnen: “Die Nazis haben sich nicht mit Rumtrampeln auf den Opfern begnügt. Die hatten ein gezieltes Vernichtungsprogramm”, so Gunter Demnig.
Gunter Demnigs Mission: Stolpersteine sollen Nazi-Opfern ihren Namen und ihre Würde zurückgeben
Auch Morddrohungen hat der Stolperstein-Erfinder schon erhalten. Von seiner Mission lässt er sich deswegen nicht abbringen. Überall dort, wo die Nationalsozialisten gewütet haben, will er an ihre Verbrechen erinnern. Und er möchte den Opfern des Holocaust ihre Namen und ihre Würde zurückgeben.Wer bisher Stolpersteine betrachtete, wusste meist nicht, welche Lebensgeschichte sich hinter den Namen verbarg. Das ändert sich jetzt. Eine Kölner Marketingagentur unterstützt seit einem Jahr das Stolperstein-Projekt – mit einer App für das Smartphone. Damit sind die Steine im Straßengewirr nicht nur leichter zu finden. Anhand der Namen lassen sich nun auch die persönlichen Schicksale der Menschen kennenlernen.