Die Musikrichtung Techno entstand in den 1980er-Jahren, als Pioniere elektronischer Musik wie Kraftwerk viele junge Musikproduzenten dazu inspirierten, mit Synthesizern und Plattentellern zu experimentieren. Detroit war damals weit vorn, aber auch in Europa war man äußerst kreativ – vor allem in Frankfurt am Main. Hier gibt es seit einem Jahr auch das Museum of Modern Electronic Music – kurz MOMEM, das weltweit erste Museum seiner Art. Direktor Alex Azary hat mit Wegbegleitern wie Sven Väth und DJ Talla 2XLC die Bewegung damals geprägt.
Alex Azary im MOMEM
Deutsche Welle: Herr Azary, können Sie erklären, warum sich die Musikrichtung Techno ausgerechnet in Frankfurt so entwickelt hat?
Alex Azary: Wir waren schon sehr früh eine der wenigen Städte, in denen so eine intakte, komplette Szene zu finden war. Hier gab es damals die Clubs, aber auch die Produzenten, die Musiker, die Labels, Plattenläden. Anfang der 1980er-Jahre gab es vielleicht fünf, sechs Städte weltweit, die diesen Status hatten. Ein weiterer wichtiger Grund war mit Sicherheit das Dorian Gray, der damalige Club am Frankfurter Flughafen. Dort lief immer das Innovativste vom Innovativen. Am Anfang war es eigentlich vom Konzept her eher eine Fortführung des Studio 54 in New York, also discolastig. Aber es gab schnell die ersten DJs, die dann anfingen, elektronische Musik aufzulegen. Auf dieser Anlage, mit dem Licht und der Atmosphäre, hat man einfach gespürt, wenn elektronische Musik lief, hat sich etwas verändert in diesem Raum. Es hat die Leute inspiriert und auch dazu motiviert, immer wieder “cutting edge”-Musik aufzulegen.
Und Sie wurden auch ein Teil dieser Szene?
Ja. Ich kann mich genau an den Tag erinnern, als ich zum ersten Mal im Dorian Gray war. Ich war noch keine 20 und bin in diesen großen Club reingelaufen. Und als ich in den Bereich der Bassboxen gekommen bin, habe ich auf einmal gemerkt: oh Mann, mein Herzrhythmus! Pop-pop. Der ist ins Stolpern gekommen und hat sich plötzlich dem Beat angepasst. Dann bin ich zu dem DJ gegangen, er hat gerade einen Mix gemacht und da lief Planet Rock und Kraftwerk, und das eine ging in das andere über. Ich hatte die ganze Zeit die Platte beobachtet, die gerade lief, und auf einmal hebt der DJ den Tonarm weg und die Platte ab. Ich war geschockt – die Musik lief trotzdem weiter. Da habe ich erst gemerkt, dass er einen Übergang gemacht hat, den ich nicht gehört habe. Und in dem Moment war ich auch infiziert.
Seit 1982 habe ich selbst aufgelegt; 1984 hat mein Freund Talla hier dann den Technoclub gegründet, den es bis heute gibt. Ich arbeitete auch als Veranstalter im Dorian Gray und habe Talla in den Club geholt. Wir haben dann von 1987 bis Ende 2000 dort den Technoclub veranstaltet und alle großen Raves in dieser Zeit.
Willkommen im Club: Party im Dorian Gray im Jahr 1998
Dieser Club war weltweit einzigartig. Da sind viele Leute, auch die DJs, aus dem Ausland eingeflogen, haben gefeiert und sind dann wieder weggeflogen. Der Frankfurter Flughafen war internationale Zone, dort galt keine Sperrstunde, und so war es damals möglich, den Club rund um die Uhr zu öffnen. Und da hat sich dann natürlich ein sehr illustres und gut gelauntes Partyvolk getroffen und deswegen war das auch nochmal was ganz Besonderes, denn das war wirklich ein Schmelztiegel. Das war schon ein sehr wichtiger Ort. Leider musste er dann aus Brandschutzgründen geschlossen werden.
Mittlerweile hat Berlin Frankfurt den Rang als deutsche Techno-Metropole abgelaufen. Warum?
Hier in Frankfurt gibt es nicht viel Raum. Es ist schwierig für Kreative, Clubs zu eröffnen und unabhängig ein eigenes Konzept zu entwickeln. Deswegen sind die Clubs, die es hier heute gibt, eigentlich keine, denen es darum geht, die Musik weiterzuentwickeln, sondern gastronomisch basierte Clubs, die vor allem Getränke verkaufen wollen. Und das ist ein großes Problem. In Berlin dagegen ging es erst richtig los nach dem Mauerfall. Ob es alte Lagerhallen waren, alte Werke, Gaswerke, es gab Räume, die einfach von diesem Industrial-Look her auch zu diesem ganzen Thema gut gepasst haben. Und mit diesen Räumen kann man auch erst was Neues entwickeln. Und das haben wir hier leider in der Stadt nicht so.
Aber seit einem Jahr gibt es hier jetzt einen neuen Grund für alle Technofans, nach Frankfurt zu pilgern: das MOMEM. Wie kam es dazu?
Die Idee für dieses Museum kam von meinem Partner Talla. Der war 2011 mit dem Goethe-Institut in Südeuropa unterwegs, hielt dort Vorträge für Jugendliche und Studenten. Und da stieß er auf so viel Interesse, dass er mich irgendwann angerufen hat: “Weißt du was? Eigentlich müsste es für all das mal ein Museum geben.”
So wurde das Frankfurter MOMEM im April 2022 standesgemäß eröffnet: DJ Sven Väth legte auf
Eigentlich sehen wir uns eher als Kunst- und Kulturzentrum, denn diese Clubkultur, die ist ja sehr vital, die gibt es ja auch heute noch. Sie ist nichts Abgeschlossenes, sondern verbreitet sich immer weiter. Ist ja mittlerweile auch vor allem ein internationales Phänomen. Aber der Begriff Museum signalisiert auch nochmal diese Institutionalisierung, die meiner Meinung nach wichtig ist, denn immerhin sprechen wir von einer Kulturbewegung, die seit 40 Jahren Menschen inspiriert und für die gesamte Gesellschaft wichtige Impulse gegeben hat.
Das Interview führte Rachel Stewart.
Das Frankfurter MOMEM präsentiert derzeit in der Ausstellung “Milestones – Favorite Club Tracks 1985-2020” persönliche Playlists prominenter DJs, visuell begleitet von Fotoarbeiten internationaler Künstlerinnen und Künstler.