Ludwig van Beethoven, musikalisch ein Genie, in Gesellschaft ein Griesgram. Als der Komponist seine berühmteNeunte Sinfonie schrieb, war er bereits taub. Viele Krankheiten hatten ihn gequält, deshalb vermachte er schriftlich seinen Köper nach dem Tod der Medizin, um seine Leiden für die Nachwelt zu ergründen.
Ein internationales Forscherteam hat sich der Sache 2014 angenommen und konnte jetzt neue Erkenntnisse durch DNA-Analysen von Beethovens Haaren veröffentlichen. Die Medien haben das Thema dankbar aufgegriffen, schließlich ist Ludwig van Beethoven neben Johann Sebastian Bach der weltweit berühmteste klassische Komponist.
Keimfreie DNA-Untersuchung an der University of Cambridge
Eins der Ergebnisse: Beethoven war mit der Lebererkrankung Hepatitis B infiziert. Damit sei das Geheimnis um seinen Tod gelüftet, hieß es in der Presse und auch, dass Beethoven vielleicht genetisch gar kein Beethoven sei. Kurzum: Die Erkenntnisse würden Beethovens Biografie auf den Kopf stellen. Doch auch, wenn verblüffende Ergebnisse vorliegen: Ganz so weit wollen die Forscher und Forscherinnen nicht gehen.
Woher kommen all die Haare?
Christine Siegert, Leiterin des Beethoven-Archivs in Bonn, hat mit einer Kollegin die historischen Hintergründe für das Forschungsteam aufgearbeitet. Die Geschichte um Beethovens Haarlocken, die die DNA lieferten, spielte dabei eine wichtige Rolle. Von ihnen gibt es weltweit noch 32 bekannte Exemplare. “Die Erinnerungskultur war im 19. Jahrhundert ganz anders als heute, wo jeder Selfies machen kann”, erläutert die Musikwissenschaftlerin im Gespräch mit der DW. “Damals verschenkte man gerne Haarlocken als Freundschaftsgabe”.
Acht solcher Locken hatten die Forscher zur Verfügung, fünf davon zeigten eine übereinstimmende DNA. Eine der Haarsträhnen hat das Beethoven-Haus Bonn beigesteuert. Ludwig van Beethoven wurde 1770 in Bonn geboren. Sein Geburtshaus ist heute Museum und Archiv und Forschungsstätte. Das Interesse an seiner Person ist seit seinem Tod 1827 bis heute ungebrochen. Auch Christine Siegert war gespannt auf die Ergebnisse.
Beethovens begehrte Locken
Als Geschenk edel verpackt: Die sogenannte “Müller-Streicher-Locke” aus dem Beethoven-Haus in Bonn
“Unsere Locke hat eine gute Provenienz und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie authentisch ist”, sagt Siegert. Die Locke schenkte Beethoven 1820 noch zu Lebzeiten der befreundeten Klavierbauerfamilie Streicher.
Als Beethoven nach seinem Tod im offenen Sarg aufgebahrt wurde, schnitten sich viele Verehrerinnen und Verehrer des Meisters eine Locke von seinem Haar ab. Der Sohn von Beethovens engem Jugendfreund Stephan von Breuning ging dabei leider leer aus. “Als Gerhard von Breuning dahin kam, da waren nach seiner Erzählung Beethoven schon alle Haare abgeschnitten. Er hatte keine Haare mehr auf dem Kopf. So viele Leute waren an den Haarlocken interessiert.”
Christine Siegert arbeitet im Bonner Beethoven-Archiv gerade an der Gesamtausgabe von Beethovens Werken
Gerade deshalb habe man nie eine 100-prozentige Sicherheit auf Echtheit der Haare, meint Siegert. Schließlich habe es nach Beethovens Tod einen schwungvollen Handel, auch mit angeblichen Beethovenhaaren, gegeben. “Historische Forschung ist immer nur Annäherung”, sagt die Musikwissenschaftlerin.
Eine der acht untersuchten Locken, die berühmte “Hiller-Locke”, von der man lange Zeit fest überzeugt war, sie sei von Beethoven, entpuppte sich nach der neusten DNA-Analyse zur Überraschung der Forscher als Frauenhaar. 2007 hatte man in besagter Locke einen hohen Bleigehalt festgestellt und vermutete fälschlicherweise, Beethoven sei an Syphilis gestorben. Eine Krankheit, die damals mit bleihaltiger Medizin behandelt wurde.
Warum Beethovens DNA so interessant ist
Das Beethoven-Denkmal in Bonn
Bei den neuen Analysen, bei denen auch nach Krankheitserregern gesucht wurde, konnte man dagegen Hepatitis B nachweisen. Immer wieder hatte Beethoven über Bachschmerzen geklagt und seine DNA zeigt, dass er für Lebererkrankungen anfällig war. Ob Beethoven an seiner Hepatitis-Erkrankung letztendlich gestorben ist, lässt sich allerdings nicht belegen.
Dass man sich gerade jetzt mit Beethovens Haaren und seiner DNA beschäftigt, hat verschiedene Gründe. Die Idee zum Forschungsprojekt kam von Tristan Begg, der für das Beethoven Zentrum im kalifornischen La Jolla gearbeitet hatte. Von dort stammen drei der untersuchten Haarproben, von denen aber nur eine zu jenen fünf gehört, die Übereinstimmungen in der DNA zeigen.
Als Masterstudent konnte Begg den Archäogenetiker Johannes Krause für seine Idee gewinnen. Krause ist beim Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie darauf spezialisiert, historische DNA zu analysieren. An der Clare Hall Universität in Cambridge hat Begg dann als Doktorand der Archäologie promoviert und an Beethovens DNA geforscht. Acht Jahre hat es gedauert, bis die Ergebnisse des internationalen Forscherteams nun in der Wissenschaftszeitschrift “Current Biology” veröffentlicht werden konnten.
33 internationale Forscher waren beteiligt
Johannes Krause vom Max Planck Institut entziffert historische Gene
“Wir mussten Kooperationspartner mit verschiedenen Expertisen dazu holen”, erläutert Johannes Krause gegenüber der DW. Etwa einen medizinischen Genetiker von der Universität Bonn, wo man sich mit komplexen Krankheiten auskennt. “Dann haben wir uns noch Geneologen (Ahnenforscher Anm. der Red.) aus Belgien dazu geholt, die sich mit dem Familienstammbaum von Beethoven beschäftigt haben, um mögliche Verwandte zu identifizieren.”
Die brachten eine weitere Überraschung zutage. Im Vergleich mit der DNA der heute in Belgien lebenden “Beethovens” fand man heraus, dass diese zwar untereinander verwandt waren, aber keine DNA vom Komponisten zu finden war. “Wir waren überrascht von diesem Familiengeheimnis, das zeigt, dass Beethoven genetisch nicht von der flämischen Beethoven-Linie abstammte, aber wir wissen nicht welche Generation dafür verantwortlich ist”, erläutert Tristan Begg in einem eigenen Youtube-Video.
Die Entschlüsselung von Beethovens DNA
Keimfreie DNA-Untersuchung an der University of Cambridge
Was die Forschung letztendlich voranbrachte, waren die hochwertigen Maschinen die das Genom Beethovens, also den Bauplan für den Menschen, der in jeder Zelle steckt, entschlüsseln konnten. “Vor 15 Jahren haben die Sequenzier-Maschinen pro Tag circa 100 bis 200 DNA-Sequenzen entschlüsselt und heute haben wir Maschinen, die können pro Tag 20 Milliarden Sequenzen entschlüsseln”, sagt Johannes Krause.
Meistens dienen alte Knochen als Grundlage für die Analyse, doch das war bei Beethoven nicht möglich. “Man hätte Beethoven auch exhumieren können, um mit seinen Knochen eine solche genetische Analyse durchzuführen”, sagt Krause. “Wir haben angefragt beim Zentralfriedhof in Wien, aber dort hat man sich dagegen entschieden, das Projekt zu unterstützen.”
Die Sogenannte Stumpf-Locke war die erste Wahl für die Forscher
Um Beethovens Genom zu entschlüsseln, brauchten die Forscher eine größere Menge Haar. Zum Glück besaß der Australier Kevin Brown eine geeignete Locke, die sogenannte “Stumpf-Locke”. “Die Locke hat sich angeboten, weil sie relativ viele Haare hatte und der Besitzer dieser Locke gesagt hat, dass er für die Forschung das Haar gerne opfern wolle”, erzählt Krause. Um an die DNA zu kommen, mussten die Haare aufgelöst werden und existieren nicht mehr.
Was passiert mit den Forschungsergebnissen?
Das Archiv im Beethoven-Museum konnte einen Teil seiner Locke behalten und hält sie weiterhin unter Verschluss. Ob die Biografien zu Beethoven nach den neuesten Erkenntnissen umgeschrieben werden müssten, bezweifelt Christine Siegert vom Bonner Beethoven-Archiv. “Man wird das in zukünftige Publikationen mit einfließen lassen. Und auch für Medizinhistoriker ist das interessant”, sagt sie. Beweisen könne man aber nichts, denn auch die fünf übereinstimmenden Haarproben könnten hypothetisch nicht von Beethoven sein. “Wenn man irgendwann rausbekommt, wie das mit der Vaterschaft war, dann lassen wir das auch in unsere biografischen Schriften einfließen”. Immerhin könne man jetzt die Frage der Krankheiten, die ja in allen Biografien eine Rolle spielen, differenzierter und genauer darstellen. Die Ergebnisse würden sicher noch lebhaft diskutiert.
Für Johannes Krause ist das Projekt allerdings erst einmal abgeschlossen. Dabei würde es an Haaren nicht mangeln. Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse hat der Archäogenetiker bereits drei weitere vermeintliche Haarproben von Beethoven für Forschungszwecke angeboten bekommen.